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Berichte und Bilder zum Nordirlandkonflikt

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Überfall angesichts ungeklärter Seegrenze

© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG – www.jungefreiheit.de   Ausgabe 45-21 05.11.21

Überfall angesichts ungeklärter Seegrenze

NEWTOWNARDS. In der nordirischen Kleinstadt Newtownards, einer Hochburg der pro-britischen Protestanten, haben am vergangenen Montagmorgen zwei maskierte Gewalttäter einen Bus überfallen und in Brand gesetzt, nachdem sie den Fahrer unter vorgehaltener Waffe vertrieben hatten. Der Überfall steht in einem erklärten Zusammenhang zum umstrittenen Brexit-Protokoll, mit dem der Handel zwischen der EU und Großbritannien mittels einer innerbritischen Seegrenze zu Nordirland geregelt werden soll. Der Vorfall ereignete sich am gleichen Tag, für den im September die stärke protestantische Partei, die DUP, den Rückzug ihrer Minister aus der nord-irischen Allparteienregierung angekündigt hat, falls es zu keinen bedeutenden Änderungen in der Protokoll-Frage käme. Bislang sind ihre Minister nach wie vor im Amt, da der DUP-Vorsitzende Sir Jeffrey Donaldson Fortschritte sieht durch die Eröffnung von Verhandlungen über das Protokoll. (dk)

Politisches Chaos bei den nordirischen Protestanten

© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG – www.jungefreiheit.de   
Ausgabe 26-21 25.06.21

Politisches Chaos bei den nordirischen Protestanten

BELFAST. Die größte politische Partei der nordirischen Protestanten findet keinen Weg aus der inneren Krise. Nur fünf Wochen nachdem er seine durch ein Mißtrauensvotum gestürzte Vorgängerin Arlene Foster im Vorsitz der pro-britischen DUP (Democratic Unionist Party) beerbt hat, erklärte Edwin Poots am vergangenen Donnerstag seinen Rücktritt. Dem vorausgegangen war ein offener Aufruhr in seiner Partei über ein umstrittenes Abkommen zur gesetzlichen Gleichstellung der irischen Sprache mit dem Englischen. Demzufolge sollte im September das Westminster-Parlament in London über das Gesetz entscheiden, falls die nordirische Regionalversammlung bis dahin nicht zu einer Einigung kommt. Das Gesetz war vor allem eine Kernforderung der linksnationalistischen Sinn Fein. (dk)

Irland: Wahlkampf künftig ohne Haßsprache

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Ausgabe 25-21 18.06.21

Irland: Wahlkampf künftig ohne Haßsprache

DUBLIN. Irland steht möglicherweise vor einer erheblichen Einschränkung der Meinungsfreiheit in Wahlkämpfen. Bei einer Anhörung vor dem Parlamentskomitee zur Reform des Wahlgesetzes haben verschiedene Lobbygruppen eine Regelung gefordert, wonach Kandidaten, die sich einer nicht genauer definierten Haßsprache auf der Basis von Rassismus, Sexismus und der Diskriminierung von anderen Minderheiten bedienten, von einer dazu ermächtigten Wahlkampf-Kommission schwere Sanktionen auferlegt werden sollen. Die Irish Times zitierte Bernard Joyce, einen Aktivisten der Minderheit der nomadischen Travellers: „Diese Sanktionen müssen sehr streng sein, um Menschen zur Verantwortung zu ziehen, in einigen Fällen sogar um sie aus der Wahl zu ziehen, wenn die Rhetorik auf irgendeine besondere Gruppe gerichtet ist.“ (dk)

Regierungschefin streicht die Segel

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Ausgabe 19-21 07.05.21

Regierungschefin streicht die Segel 

BELFAST. Arlene Foster hat nach mehr als fünf Jahren Amtszeit für Ende Mai ihren Rücktritt als Vorsitzende der pro-britischen DUP (Democratic Unionist Party) und für  den Folgemonat als nordirische Regierungschefin angekündigt. Vorausgegangen war ein offener Brief zahlreicher hochrangiger Parteikollegen, in dem diese ihr das Vertrauen entzogen hatten. In der bedeutendsten Partei der nordirischen Protestanten wuchs die Unzufriedenheit über die Brexit-Strategie von Foster, der die Entstehung einer innerbritischen Seegrenze zur Last gelegt wurde. Ebenso zog sie den Unmut des sozialkonservativen religiösen Parteiflügels auf sich, als sie darauf verzichtete, in der nordirischen Versammlung an einer Abstimmung über das von der DUP abgelehnte Verbot der Konversionstherapie für Homosexuelle teilzunehmen. (dk)

Rückfall in die Vergangenheit

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16-21 / 16. April 2021

Rückfall in die Vergangenheit
Nordirland: Der Zorn der Protestanten entzündet sich an Grenzfragen durch den Brexit
Daniel Körtel

Es ist vermutlich ein letzter Dienst, den Prinz Philip seinem Land mit seinem Tod am vergangenen Freitag geleistet hat. In Respekt vor der königlichen Familie forderten die loyalistischen Paramilitärs in Nordirland dazu auf, die tagelangen Unruhen zu unterbrechen. Beobachter fühlten sich zurückversetzt in die dramatischen Hochzeiten der „Troubles“, des jahrzehntelangen Bürgerkriegs zwischen pro-irischen Katholiken und pro-britischen Protestanten.

Ausgehend von den loyalistischen Wohngebieten Derrys griffen die Unruhen auf die Provinzhauptstadt Belfast und der Grafschaft Antrim über. Jugendliche, die offenbar von im Hintergrund agierenden Erwachsenen angestachelt wurden, errichteten Barrikaden und warfen Steine, Feuerwerk und Benzinbomben auf Polizeikräfte, die Dutzende von Verletzten zu beklagen hatten. Erstmals seit sechs Jahren setzte die Polizei in Nordirland Wasserwerfer ein.

Mit diesen Ausschreitungen haben die Befürchtungen, die mit dem Brexit verbundene Lösung der Grenzfrage zwischen der Republik Irland und Nordirland würde zu einer Destabilisierung der Region führen, nunmehr eine reale Form angenommen.

In einem Protokoll wurde für Güter aus dem übrigen Großbritannien de facto eine Grenze in die Irische See verlegt, um die innerirische Grenze weiter offen zu halten. Die pro-britischen Unionisten und Loyalisten lehnen diese Regelung als Unterminierung der Position Nordirlands im Vereinigten Königreich ab und fordern vehement Nachverhandlungen.

Doch eigentlich rührt das umstrittene Protokoll tiefer an der Mentalität der nordirischen Protestanten, als es die Frage um Zolltarife vermag. Denn größer als ihre Angst vor der feindlichen Übernahme durch Dublin ist die vor dem Verrat aus London an ihren Interessen. Premier Boris Johnson hat mit dem Bruch seines Versprechens, daß es unter ihm keine innerbritischen Barrieren geben werde, dieser Urangst enormen Auftrieb verschafft.

Als weiterer Auslöser für den Rückfall in die Vergangenheit gilt die Beerdigung des populären IRA-Aktivisten Bobby Storey im vergangenen Sommer. Obwohl wegen der Corona-Pandemie bei solchen Anlässen die Zahl auf 30 Trauergäste beschränkt ist, nahmen mehr als 1.500 daran teil, darunter prominente Republikaner. Dieser spektakuläre Bruch der Corona-Regeln blieb für die Beteiligten bislang ohne Folgen, was wiederum einen fatalen Eindruck bei den Protestanten hinterließ.

Brexit: Grenzstreit erhitzt die Gemüter

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Ausgabe 11/21 12.03.21

Brexit: Grenzstreit erhitzt die Gemüter 

BRÜSSEL. Die EU hat das einseitige Vorgehen Großbritanniens über die Verlängerung von Übergangsfristen zur Umsetzung des Brexit als Bruch internationalen Rechts kritisiert. Der Streit betrifft das Protokoll, mit dem die Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland weiter offengehalten werden soll. Demzufolge werden Waren, die nach Nordirland eingeführt werden, weiterhin dem Zollrecht des EU-Binnenmarktes unterliegen. Dies gilt jedoch nach einer bestimmten Frist nicht mehr für Güter aus dem Rest des Vereinigten Königreichs, für die dann ein erhöhter bürokratischer Aufwand nötig wäre. Die damit verbundene Grenze in der Irischen See wird von den pro-britischen Parteien Nordirlands strikt abgelehnt, aus Sorge vor einer Untergrabung der nordirischen Position im internen britischen Markt. Unterdessen hat die Loyalist Communities Council, ein Dachverband protestantischer paramilitärischer Gruppen Nordirlands, aus Protest gegen das Protokoll seine Unterstützung für das Karfreitagsabkommen, mit dem 1998 der nordirische Bürgerkrieg beendet wurde, vorübergehend zurückgezogen. Gleichwohl wurde betont, daß der Widerstand gegen das Protokoll friedlich und demokratisch ablaufen solle. (dk)

Nach dem Referendum ist vor dem Referendum

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Ausgabe 06/21 / 05. Februar 2021

Nach dem Referendum ist vor dem Referendum
Schottland: Durch den Brexit gewinnen die Befürworter einer Unabhängigkeit von Großbritannien Aufwind
Daniel Körtel

Eigentlich wurde das schottische Unabhängigkeitsreferendum im September 2014 selbst von seinen Betreibern als ein Projekt innerhalb einer Generation angesehen. Die Schotten entschieden damals zu 55 Prozent für einen Verbleib in der Union mit dem Vereinigten Königreich von Großbritannien. Doch es wurde nur zwei Jahre später nach dem erfolgreichen Brexit-Referendum über den Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union klar, daß die von der Schottischen Nationalpartei SNP geführte Regionalregierung bald einen erneuten Anlauf starten würde. Nach dem erfolgreichen Abschluß der Austrittsverhandlungen zwischen London und Brüssel kommen nun aus Edinburgh hierzu erste konkrete Signale.

Für die schottischen Regionalwahlen im kommenden Mai hat Schottlands Regierungschefin und SNP-Vorsitzende Nicola Sturgeon ein zweites Referendum ins Zentrum ihrer Wahlkampagne gerückt. Ihr Staatssekretär Mike Russell hält gar ein Referendum noch vor Weihnachten für möglich, innerhalb von sechs Monaten nach seiner gesetzlichen Implementierung.

Doch selbst bei einem Wahlsieg dürfte es der SNP schwerfallen, ihr Versprechen auch umzusetzen. Die Gesetzeslage weist die Verantwortung für ein Referendum eindeutig der britischen Regierung in London zu. Ein Referendum ohne die Zustimmung aus London wäre illegal, warnte der britische Minister für Schottland, Alister Jack.

Ein solches hätte – vergleichbar wie im Falle Kataloniens – auch den Nachteil, daß es vom Ausland nicht anerkannt werden würde. Seine Ablehnung eines weiteren Referendums hat der konservative britische Premier Boris Johnson wiederholt bekräftigt. Sollte er seine Weigerung aufrechterhalten, sieht die Strategie der SNP vor, den Weg über die Gerichte einzuschlagen.

Doch ungeachtet des Ziels einer schottischen Unabhängigkeit ist nach wie vor offen, wie ihre Befürworter diese ausgestalten wollen. Bislang sind wesentliche Fragen wie die Währung, die Außenvertretung und die Rolle der Königin in einem unabhängigen Schottland ungeklärt. Vor allem die Währungsfrage gab bei dem Referendum von 2014 mit den Ausschlag, da London damals kategorisch ausschloß, daß das britische Pfund weiterhin die Währung eines unabhängigen Schottlands sein könne.

Die letzten Meinungsumfragen sehen kontinuierlich eine Mehrheit zugunsten einer Unabhängigkeit Schottlands, zuletzt mit 49 zu 45 Prozent. Ungeachtet dessen erklärte Johnson vergangene Woche bei einem offiziellen Schottland-Besuch, den er im Rahmen der Corona-Bekämpfung unternahm, daß die Schotten ein weiteres Referendum nicht als ihre Priorität betrachten. Statt dessen sah er in der gemeinsamen Herausforderung durch die Pandemie sogar eine Stärkung der Union.

Doch nicht allein in Schottland sind durch den Brexit erste Auflösungserscheinungen der britischen Union sichtbar. Auch in der britischen Provinz Nordirland ist hierüber im Hinblick auf eine Wiedervereinigung mit der Republik Irland Bewegung geraten. In einem Interview mit der Irish Times erklärte Sturgeon jüngst, daß sie mit ihren Freunden in Irland manchmal darüber witzele, was zuerst kommen werde, ein unabhängiges Schottland oder ein vereinigtes Irland: „Wer weiß? Möglicherweise wird nichts davon passieren. Aber ich glaube fest daran, daß ein unabhängiges Schottland kommen wird. Vielleicht werden wir in nicht allzu langer Zeit beides sehen.“

Gegen die Zensur durchgesetzt

© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 03/21 / 15. Januar 2021

Gegen die Zensur durchgesetzt
Irlands Homer: Vor achtzig Jahren starb der Schriftsteller James Joyce
Daniel Körtel

Es war ein bescheidenes Ende für einen großen Geist: Als vor achtzig Jahren, am 15. Januar 1941, der irische Schriftsteller James Joyce auf einem Züricher Friedhof beerdigt wurde, fand sich nur eine kleine Trauergemeinde ein. Der Schweizer Tenor Max Meili sang „Addio terra, addio cielo“ aus Monteverdis Oper „L’Orfeo“, aber kein offizieller irischer Vertreter nahm an dem Begräbnis teil.

Joyce war zwei Tage zuvor nach einem operativen Eingriff verstorben, dem er sich in der Schweiz während seiner Flucht aus Frankreich vor dem Vormarsch der deutschen Armee unterziehen mußte. Mit ihm ging einer der bedeutendsten Schriftsteller, die Irland jemals hervorgebracht hatte.

Die Jugendjahre des 1882 in einem Vorort von Dublin geborenen Joyce waren geprägt vom sozialen Abstieg seiner Familie, die sie aufgrund väterlicher Fehlleistungen aus großbürgerlichen Verhältnissen in die Elendsviertel der Stadt führte. Die Erfahrungen als Jesuitenschüler setzten ihn in feindlichen Gegensatz zur katholischen Kirche, deren zeremoniellem Gepräge er dennoch weiter anhing. Schon früh entwickelte er Extravaganzen eines Charakters, der entweder genial oder größenwahnsinnig sein mußte.

Chronisch pleite, dem Alkohol hingegeben

Der erste bedeutende biographische Kippunkt dürfte 1904 die Begegnung mit dem Zimmermädchen Nora Barnacle gewesen sein. Entfremdet von der katholischen Bigotterie und dem Provinzialismus seiner Heimat zog Joyce mit ihr kurz darauf in das selbstgewählte Exil, das ihn zunächst nach Triest führte, wo er sich mit Gelegenheitsarbeiten sowie als Lehrer durchschlug. Die leidenschaftlich-obsessive Beziehung zu Nora, die beide in tiefe Abhängigkeit zueinander trieb, sollte mit seinem Werk in die Literaturgeschichte eingehen.

Chronisch pleite, dem Alkohol hingegeben und von Krankheiten geplagt – vor allem einem schweren Augenleiden –, konnte er seiner Verantwortung als Familienvater nur unzureichend gerecht werden. Doch erregte er mit dem skandalträchtigen Erzählband „Dubliner“ (1914), einer Sammlung von fünfzehn Kurzgeschichten, und dem autobiographischen Roman „Ein Porträt des Künstlers als junger Mann“ (1916) erstes Aufsehen. Er fand hierdurch neben der Freundschaft zu Ezra Pound auch die finanzielle Förderung durch vermögende Frauen. Doch auch deren Mittel sollten ihm, der mit Geld nicht umzugehen wußte, nie reichen.

Die Literaturszene reagierte gespalten

Nach vielen Schwierigkeiten veröffentlichte er 1922 in Paris mit „Ulysses“ (dt: „Odysseus“) sein bedeutendstes Werk. Es ist ein komplexes Opus magnum, das angelehnt an Homers Sage der Odyssee den Protagonisten Leopold Bloom einen ganzen Tag – den 16. Juni 1904 – durch Dublin begleitet. Das Datum ist nicht zufällig gewählt; es ist der Tag, an dem Joyce Nora kennenlernte. Der Jahrestag ist heute als Bloomsday fester Bestandteil irischer Folklore, an dem Joyce-Fans in edwardianischer Kleidung in Dublin die „Ulysses“ nachvollziehen.

„Ulysses“ spaltete die Literaturszene wie kaum ein anderes Buch. Mit seinen expliziten Beschreibungen selbst gewöhnlichster körperlicher Vorgänge verstieß es gegen jedes zeitgenössische Tabu; es war „ein Amoklauf zerebraler Sexualität und körperlicher Inbrunst“, wie die Schriftstellerin Edna O’Brien in ihrer James-Joyce-Biographie schreibt. Doch die darin angewandte Erzähltechnik des Inneren Monologs, in dem alles oberhalb der Bewußtseinsschwelle des Protagonisten vermerkt wurde („stream of consciousness“), war für die moderne Literatur ein revolutionärer Schritt.

Dennoch mußte sich das Buch wegen seiner obszönen Passagen vielfach erst gegen die Zensur durchsetzen. Der vielfach als „unlesbar“ bewertete Nachfolger „Finnegans Wake“ wurde weitaus ungnädiger von der Kritik aufgenommen.

In den nachfolgenden Jahren verschlechterte sich Joyce’ Gesundheitszustand erheblich. Zusätzlich überschattete die familiäre Tragödie um seine Tochter Lucia, die der geistigen Umnachtung verfiel, sein Gemüt. Seine Heimat Irland hatte er zuletzt im Sommer 1912 bei einem Kurzbesuch in Dublin gesehen. Er, der sich von ihr verkannt fühlte, nannte sie verächtlich eine „alte Sau“. Und dennoch drehte sich in seinem Werk alles nur um sie. Auf die Frage, wann er wieder nach Irland zurückkehren wolle, sagte er einmal aufschlußreich: „Ich habe es nie verlassen.“

Joyce-Denkmal, O’Connell Street Dublin / © Daniel Körtel, 2011

Irlands nachhaltiges Trauma

© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 37/20 / 04. September 2020

Irlands nachhaltiges Trauma
Vor 175 Jahren verursachte die Kartoffel-Braunfäule auf der Grünen Insel eine Hungersnot / Britische Herrschaft verschärfte das Massensterben
Daniel Körtel

Ein einsames steinernes Kreuz steht neben der Landstraße, die durch das Doolough Valley führt, eine baumlose Talebene in der westirischen Grafschaf Mayo, wo selbst im Sommer ein scharfer, kalter Wind bläst. Es erinnert an eine Tragödie, die sich Ende März 1849 hier zugetragen hatte, als mehrere Hundert verhungernder Iren in der nahe gelegenen Delphi Lodge bei den Vertretern britischer Behörden für die Armenfürsorge um Hilfe ersuchten. Nach einer gewissen Wartezeit – die Beamten wollten sich nicht beim Essen stören lassen – wurde den verzweifelten Menschen erklärt, daß sie keinen Anspruch auf Hungerhilfen hätten. Derart abgewiesen, trat die Menge den Heimweg an, den mindestens sieben von ihnen in ihrem stark geschwächten Zustand nicht mehr schafften. Ihre Leichen wurden später im Doolough Valley gefunden. Weitere Opfer wurden im See des Tals vermutet. Der Vorfall im Doolough Valley ist eingebettet in ein größeres Drama, das als die größte humanitäre Katastrophe im Europa des 19. Jahrhunderts in die Geschichte einging, der irischen Hungersnot von 1845 bis 1849, besser bekannt als der Große Hunger.

Doolough Valley, 2008 / © Daniel Körtel
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Brüsseler Ignoranz

© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 37/20 / 04. September 2020

Grüße aus Dublin
Brüsseler Ignoranz
Daniel Körtel

Golf ist eine der größten Leidenschaften der Iren, die nicht nur das einfache Volk miteinander verbindet, sondern auch seine politische Klasse. Einigen Politikern ist diese Leidenschaft nun zum Verhängnis geworden.

Ein am 19. August in einem Hotel im westirischen Clifden abgehaltenes Galadinner im Rahmen eines von der parlamentarischen Golf-Gesellschaft veranstalteten Golfturniers erzeugte ein politisches Erdbeben in der Irischen Republik. Grund war der offensichtliche Bruch der Corona-Regeln, mit denen die Regierung der Ausbreitung der Pandemie entgegenzuwirken versucht, unmittelbar nachdem weitreichendere Einschränkungen erlassen wurden.

Anwesend bei dem Dinner waren rund 80 Teilnehmer und damit deutlich mehr als die noch erlaubten 50, obgleich der Saal durch eine bewegliche Trennwand geteilt wurde, die allerdings für die Reden geöffnet wurde. Ansonsten fanden die Regeln sozialer Distanz keine große Beachtung.

„Hogan verlor am Ende gar das Vertrauen der Kommissionschefin Ursula von der Leyen.“

Bereits am Folgetag berichtete der Irish Examiner. Ministerpräsident Michael Martin tobte ob der Mißachtung der Regierungsbemühungen. Die öffentliche Empörung der Iren, die durch die Schutzmaßnahmen Hochzeiten und Urlaube absagen und einsame Beerdigungen durchführen müssen, war so groß, daß dem „Golfgate“-Skandal prominente Rücktritte folgten.

Doch der bedeutendste Kopf, der rollte, war der des EU-Handelskommissars Phil Hogan, eines der größten politischen Schwergewichte Irlands. Ihm konnten noch weitere Verfehlungen nachgewiesen werden. So hielt ihn die Polizei auf dem Weg nach Clifden an, weil er während der Fahrt am Steuer telefonierte. Ebenso kam heraus, daß Hogan sein in einer Lockdown-Zone befindliches Apartment in Kildare aufsuchte. Sein Unvermögen, seinen Aufenthalt in Irland nach seiner Rückkehr aus Brüssel Ende Juli lückenlos so zu belegen, daß er die Verpflichtung zur 14tägigen Selbstisolation eingehalten hat, brachte ihn schließlich zu Fall. In der Zangenbewegung aus Dublin und Brüssel verlor er am Ende das Vertrauen der Kommissionschefin Ursula von der Leyen und gab seinen Rücktritt bekannt.

Hogan, so heißt es, wurde zum Opfer seiner in der Brüsseler Blase erworbenen Ignoranz, die ihn nicht erkennen ließ, wie sehr sich unter den Restriktionen des Corona-Regimes sein Heimatland verändert hat, in dem selbst die beliebten Pubs voraussichtlich bis Jahresende geschlossen bleiben.

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