Nicholas Searle – „Verrat“
Kindler Verlag, 2018
352 Seite
Der Kampf der IRA (Irish Republican Army) gegen die Briten vollzog sich nicht in den Kategorien des offenen Krieges. Angewandt wurden die Methoden des asymmetrischen Krieges der Guerilla: Sprengstoffanschläge, Attentate und orchestrierte Aufstände standen gegen eine der konventionell hochgerüstesten Militärmächte der Welt. Die Briten wiederum setzten auf die Feindaufklärung durch ihre Nachrichtendienste, die immerhin auf eine Tradition der Erfahrung seit der Zeit Elisabeth I. zurückblicken konnten. Das Ziel bestand vor allem in der heimlichen Informationsbeschaffung aus den inneren Zirkeln der klandestinen Organisation, entweder durch Einschleusung eigener Agenten – oder durch die Gewinnung von Informanten aus deren eigenen Reihen. Beide Seiten hatten natürlich ihre eigene Perspektive auf diese Art der Infiltration. Für die Briten war es eine legitime Informationsbeschaffung, die Leben retten konnte. Für die IRA war es schlichtweg Verrat. Entsprechend erbarmungslos und brutal war ihr Umgang mit „Verrätern“.
Der britische Autor Nicholas Searle erzählt die Geschichte eines solchen „Verrat“, so der gleichnamige Titel seines hochspannenden Thrillers aus dem Jahr 2018. Sie ist geradezu klassisch und idealtypisch für dieses zeitlose Thema. In dem von ihm ausgebreiteten Plot über den Zeitraum von 1989 bis 2005 bleibt er nahe an der Historie des Nordirlandkonfliktes, während er seine ambivalenten Protagonisten und ihr jeweiliges Umfeld authentisch schildert.
Francis O’Neill sollte sich eigentlich glücklich schätzen. Der IRA-Terrorist wurde gerade vorzeitig aus dem berüchtigten Maze-Gefängnis in Nordirland entlassen. Im Zuge des Karfreitagsabkommens kam er 2000 als einer der letzten Inhaftierten bereits nach fünf von 41 Jahren frei. Doch er findet keine Ruhe. Wie konnten ihm die britischen Behörden damals auf die Schliche kommen? Der erfahrene Kämpfer flog bereits kurz vor der endgültigen Ausführung seines Coups auf einen britischen Parlamentsabgeordneten auf; die Bombe war schon scharf gestellt. Hatten die Briten einfach nur Glück – oder wurde Francis Opfer eines Verräters aus den eigenen Reihen?
Da war sein früherer Kamerad Mikey Sullivan. Nachdem ihn die Briten schnappten, kam der schnell wieder auf freien Fuß. Francis offenes Unbehagen über Mikeys mutmaßlichen Verrat versetzt jedoch die IRA in Verlegenheit, denn in der heiklen Phase des Friedensprozesses braucht sie Ruhe in den eigenen Reihen, zumal sie Mikey nichts nachweisen konnte. Doch Francis gibt keine Ruhe und wird Mikey und der IRA zunehmend lästig…
War es vielleicht Joe Gerathy, der Kommandeur von Francis Einheit? Der Mann, dessen distinguierte Fassade eines Gentlemans den Charakter eines eiskalten Killers verbirgt, gehört trotz seiner Rolle in der IRA zu den Gewinnern des Friedensprozesses, der ihm die Karriere eines Politikers mit Ministerposten einbrachte. Hatte er seinerzeit Francis in seinen heimlichen Verhandlungen mit den Briten an die Gegenseite verschachert?
Oder war es etwa Bridget, seine Ehefrau, deren Liebe langsam, wie bei ihm selbst, erkaltet ist…?
Wer auch immer der Verräter ist, Searle hält am Ende eine Überraschung bereit. Und wie immer man die Sache des Verrats bewertet, sie setzt den Betreffenden ungeachtet seiner Motive dem größten Risiko aus.