© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 49/24 / 29. November 2024
Die Blöcke bröseln auseinander
Parlamentswahl Irland: Die bürgerliche Fine Gael und die nationalkonservative Fianna Fail lieben und hassen sich
Daniel Körtel
Was bereits seit dem Spätsommer die Spatzen von Dublins Dächern pfiffen, wurde Anfang November offiziell: Nur wenige Stunden nachdem sich in Washington nach der Präsidentschaftswahl die Verhältnisse klärten, trat Irlands Ministerpräsident Simon Harris an die Öffentlichkeit. Er kündigte an, die ursprünglich für März nächsten Jahres terminierten Parlamentswahlen auf den 29. November, vorzuziehen. Gerade einmal drei Wochen heißer Wahlkampf standen den Parteien und unabhängigen Kandidaten zur Verfügung, doch die Maschinerie lief schon lange vorher an.
Harris steht einer bislang historisch einmaligen Großen Koalition aus den beiden Blöcken seiner bürgerlichen Fine Gael (FG; Familie der Iren) und der nationalkonservativen Fianna Fail (FF; Soldaten des Schicksals) vor, unter Einschluß der Grünen. Diese Koalition wurde 2020 als Zwangslösung gebildet, da die Mehrheitsverhältnisse eine Regierungsbildung nach traditionellem Muster, wonach sich FG und FF in unterschiedlichen Koalitionen einander abwechselten, nicht mehr zuließen.
Die rechte Repräsentationslücke füllen unabhängige Kandidaten
Denn seinerzeit trat erstmals die linksnationalistische Sinn Fein (SF) unter ihrer populären Vorsitzenden Mary Lou McDonald an die Spitze des Parlaments. Doch aufgrund ihrer Vergangenheit als politischer Arm der IRA (Irisch-Republikanische Armee) wollte niemand eine Verbindung mit ihr eingehen. Diese vollkommen neue Situation zwang FG und FF, über einen weiten Schatten zu springen, der bis dahin beide durch den Bürgerkrieg am Beginn der irischen Unabhängigkeit vor rund 100 Jahren scheinbar unüberwindbar voneinander trennte. Aufgrund ihrer ungefähr gleichen Stärke sollten beide Parteien in der Mitte der Legislatur im Ministerpräsidentenamt rotieren.
Harris wiederum, der das Amt des Ministerpräsidenten erst im April von seinem amtsmüden Vorgänger und Parteifreund Leo Varadkar übernommen hatte, sah nach dem schwachen Abscheiden der SF in den Kommunal- und Europawahlen vom Juni und gestiegenen Zustimmungsraten für seine Person ein günstiger Moment gekommen, um bei den Iren eine vorzeitige Bestätigung für eine weitere Amtszeit einzuholen.
An Themen und drängenden Problemen mangelt es keineswegs. Zwar ist die Staatskasse alles andere als klamm – dank eines historischen Urteils des Europäischen Gerichtshofes vom vergangenen September. Demzufolge waren die Steuervorteile, die Irland dem Technologieunternehmen Apple gewährte, ein klarer Verstoß gegen die Regeln des Binnenmarktes. Apple wurde dementsprechend dazu verurteilt, dem irischen Staat rund 13 Milliarden Euro Steuern nachzuzahlen. Und es sind nicht wenige, die nun nach dem vielen Geld zu greifen trachten.
Denn vor allem die Wohnungskrise brennt den Iren unter den Nägeln. Daneben harrt das chronisch ineffektive Gesundheitssystem einer Lösung. Nicht zuletzt leiden die Iren unter der gegenwärtig hohen Inflation. Und zu schlechter Letzt kommen die Befürchtungen eines ökonomischen Schocks durch die Ankündigung höherer Zölle durch Donald Trump.
Doch seltsamerweise bleibt ein brisantes Thema außen vor. Obwohl sich im Land immer lauter der Protest gegen die Folgen der Migrationswelle erhebt, wird das Thema im Hintergrund gehalten. Angeblich sollen die harten Maßnahmen der Regierung und das deutliche Absinken der Migrationsströme die Wähler erfolgreich beschwichtigen. Immerhin versucht die SF ihrer Klientel insofern entgegenzukommen und damit eine offene Flanke zu schließen, daß ihr zufolge keine weiteren Aufnahmeheime in den Wohngebieten der Arbeiterschaft entstehen sollen, falls sie in eine Regierung eintritt.
In diese rechte Repräsentationslücke versuchen wiederum vereinzelte unabhängige Kandidaten mit klarer Haltung gegen weitere Migration vorzustoßen. Ebenso könnte die im vergangenen Jahr neu gegründete Independent Ireland einen Achtungserfolg erzielen. Bislang hält die erklärte Law-and- Order-Partei 24 kommunale Mandate und eines im EU-Parlament.
Die Auguren der Meinungsforschungsinstitute sehen gegenwärtig eine Bestätigung der Großen Koalition voraus, mit einem deutlichen Vorsprung von Fine Gael vor Fianna Fail, während Sinn Fein auf dem dritten Platz folgt. Die Grünen erwarten Verluste, während der Block aus unabhängigen Kandidaten den Umfragen zufolge auf ein Rekordergebnis zustrebt.
Für Harris könnte sich jedoch in der vergangenen Woche die Stimmung gedreht haben, nachdem ein peinliches Video viral ging. Darin ist zu sehen, wie er die behinderte Mitarbeiterin eines Einkaufsmarktes nach einem kurzen Disput achtlos stehenließ, nachdem sie sich ihm gegenüber beschwerte, er tue nichts für Leute wie sie. Der für Außenstehende zumindest recht ratlos machende Auftritt könnte noch zum Stolperstein für Harris’ wohl orchestrierte Wahlkampagne werden.
Somit bleibt das Rennen weiterhin spannend, ob es Harris gelingt, mit seiner reuevollen Entschuldigung den Kurs auf das eingeschlagene Ziel zu halten oder ob es am Ende in Irland doch noch zu einer weiteren historischen Wende kommt: der Etablierung einer Regierung unter erstmaliger Beteiligung der SF.
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