Über diese Webseite
Wer durch West-Belfast streift, stößt unweigerlich auf langgezogene, mehrere Meter hohe Betonwälle, auf die nochmals Metallzäune aufgesetzt sind. Es gibt mindestens 16 Anlagen dieser Art im ganzen Stadtgebiet. Auf den ersten Blick könnte man sie für Lärmschutzwände halten. Doch dienen sie nicht der Abwehr von Lärm, sondern der Sicherheit der Bewohner beiderseits der Wälle voreinander. Die Errichtung dieser ersten Wälle durch Pioniereinheiten der britischen Armee reicht zurück in den September 1969, nachdem im Vormonat die vermutlich seit Jahrzehnten glimmende Lunte zu einer Explosion der Gewalt zwischen den verfeindeten Volksgruppen, der Mehrheit der pro-britischen Protestanten und der Minderheit der pro-irischen Katholiken, gezündet hat. Es war der Beginn eines Bürgerkriegs, der unter dem Namen „Troubles“ (Unruhen“) in die Geschichte einging, und erst mit dem 1998 ausgehandelten Karfreitagsabkommen in den Zustand eines „unperfekten Friedens“ (Tony Blair) überging. Der Name der mit diesem Konflikt verbundenen Wälle lautet Peacelines, zu Deutsch: Friedenslinien.
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Peacelines ist auch der Titel dieser Webseite, die sich vor allem mit dem Thema des Nordirlandkonflikts beschäftigt. Die Inspiration zu diesem Webprojekt erhielt ich 2001 durch die Arte-Reportage „Wenn diese Wände reden könnten“ über die Murals genannten großflächigen Wandmalereien, mit denen die nordirischen Konfliktparteien ihre Reviere markieren und ihre Botschaften propagieren. Im gleichen Jahr registrierte ich die Domain „Peacelines.de“ und begann die Planungen für meine erste Nordirlandreise im darauffolgenden Jahr, die den Stoff lieferte für meine erste NI-Reportage für die Junge Freiheit und eindrucksvolle Fotos für meine Webseite.
Mehr als zehn weitere Reisen auf die grüne Insel folgten und immer wieder ließen sich dort neue Themen und spannende Geschichten entdecken, sei es die jährliche Wallfahrt zum Croagh Patrick, der St. Patrick’s Day oder der einzige deutsche Soldatenfriedhof in Irland, Glencree in den Wicklows nahe Dublin.
Mit den ersten Jahren wuchs damit auch die Webseite, die in ihren ersten zehn Jahren immerhin über 30.000 Zugriffe verzeichnen konnte. Vor mehreren Jahren stellte ich sie offline, um sie der technischen Dynamik des Wold Wide Web besser anzupassen. Die Umsetzung dieses Vorhabens dauert leider sehr viel länger als geplant, doch seit Anfang 2021 – pünktlich zum 20. Jahrestag – ist der Relaunch im modernen Gewand eines WordPress-Blogs endlich online. Inhaltlich bin ich seit jeher um Ausgewogenheit bemüht, aber mit dem konservativ geschulten Blick eines Beobachters, der der Vorstellung einer funktionierenden multinationalen Gemeinschaft aus historischer Erfahrung immer mit skeptischer Reserve gegenübersteht. So habe ich mir auch zu eigen gemacht, was der nordirische Historiker Thomas Hennessey im Vorwort seines Werkes „A History of Northern Ireland“ schrieb:
„Kein Teilnehmer an der nordirischen Situation ist ausschließlich verantwortlich für den Kollaps Nordirlands in den gemeinschaftlichen Streit. Alle haben ihren eigenen Beitrag geleistet, oftmals unbewusst in der Art in der sie seitdem mit ihrer Erwartungshaltung zur Instabilität der Provinz beigetragen haben: aufeinanderfolgende britische Regierungen in ihrem Versäumnissen und ihrer Untätigkeit in den Jahren der Stormont-Herrschaft; aufeinanderfolgende irische Regierungen und Generationen von Nationalisten in ihrer Leugnung der britischen Identität der Unionisten und ihrer Konzentrierung auf britische Regierungen als die Vertreter einer zeitlich begrenzten Teilung; und Unionisten in ihrer fortwährenden Wahrnehmung der katholischen Minderheit als ein ‚Feind mittendrin‘, dessen irische Identität innerhalb des protestantischen und britischen Teils des Landes unterschätzt wurde.“
In den vergangenen 20 Jahren seit Bestehen des Webprojektes Peacelines.de hat sich auch auf der irischen Insel viel getan, ist in vielen Bereichen ein rasanter gesellschaftlicher Wechsel zutage getreten. So haben die Referenden zur Legalisierung der Homo-Ehe und der Abtreibung spektakulär den Machtverfall der katholischen Kirche in der Republik Irland vorgeführt. Und trotz der Gefahr durch terroristische Splittergruppen ist in Nordirland in den vergangenen Jahrzehnten eine Generation herangewachsen, die durch die sich im Frieden bietenden Bildungschancen und den dadurch neu gewonnen Einblick in die Welt ihrer britischen Heimatprovinz neue Perspektiven vermitteln kann. Doch über allem steht der Brexit, den damals 2001 noch niemand auf seiner Rechnung haben konnte. Auch in Nordirland hat dieses Ereignis zu politischen Plattenverschiebungen geführt, deren Folgen sich noch lange nicht einschätzen lassen.
Eine Konstante hingegen sind die Peacelines, die bis heute Bestand haben, länger als die Berliner Mauer, weil sie nicht trennen, was zusammengehört, sondern auseinanderhalten, was noch lange nicht zusammengehen will. Als ich auf meiner ersten Reise vor der Peaceline in der Cupar Street stand, fragte ich den Taxi-Fahrer, der dort wie so viele seiner Kollegen auf speziellen Touren Touristen durch die Hot Spots Belfasts führte, ob wir denn noch in absehbarer Zeit den Abbau dieser Wälle erleben könnten. Er gab sich darin sehr pessimistisch, da hierfür das Mißtrauen zueinander zu groß sei: „Wissen Sie, natürlich wollen alle Menschen Frieden. Das Problem ist nur, daß jeder seine eigene Vorstellung davon hat, was Frieden ist und wie er aussieht.“
Daniel Körtel, Februar 2021
Kontakt: info@peacelines.de