© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 48/24 / 22. November 2024
Mary Lou McDonalds Popularität ist perdu, und doch könnte ihre Sinn Féin Irlands Parlamentswahl entscheiden.
Gegen die Brandmauer
Daniel Körtel
Zu den erstaunlichsten Konstanten der irischen Politik in den letzten 25 Jahren zählt der scheinbar unaufhaltsame Aufstieg Mary Lou McDonalds und ihrer Partei, der linksnationalistischen Sinn Féin („Wir selbst“). Zuletzt schaffte sie es, diese bei der Wahl zum Dáil Éireann („Versammlung Irlands“) 2020 zur stärksten Kraft zu machen. Gleichwohl hält die seit langem bestehende „Brandmauer“ die Partei ob ihrer Vergangenheit als politischer Arm der IRA von jeder Machtoption fern und zwang so die führende, bürgerliche Fine Gael („Familie der Iren“) und die nationalkonservative Fianna Fáil („Soldaten Irlands“) mit den Grünen in die erste Große Koalition.
Im Rückblick erscheint McDonalds steile Karriere keineswegs selbstverständlich. Mit ihrer familiären Herkunft paßte sie kaum in die vor allem von Veteranen des nordirischen Bürgerkriegs geprägte Partei. 1969 in Dublin geboren, konnte sie als Mittelschichtskind eine Privatschule besuchen, woran sich ein Studium am renommierten Trinity College anschloß. Sie war auf der Suche nach einer Karriere, als Gerry Adams, langjähriger Vorsitzender der Sinn Féin, in der eloquenten und telegenen jungen Frau das ideale Talent für seine Strategie fand, die Partei nach Beginn des nordirischen Friedensprozesses 1998 aus ihrem politischen Schattendasein herauszuholen.
McDonalds Persönlichkeit könnte ausschlaggebend dafür sein, daß Sinn Féin zum Königsmacher wird.
In einer nach außen hin demokratischen Kaderpartei wie Sinn Féin, die tatsächlich aber nach sowjetischem Stil zentralistisch geführt wird und in der zudem der IRA-Armeerat einen unklaren, aber erheblichen Einfluß ausübt, geschieht nichts aus Zufall. Adams stellte sein politisches Wunderkind bewußt in den Vordergrund, aller verhaltenen Kritik zum Trotz. Die bezichtigt McDonald oft des Opportunismus. Außer einem festen Glauben an die Wiedervereinigung mit Nordirland habe sie wenig echte Überzeugungen zu bieten. Zudem trug ihr die Teilnahme an Gedenkveranstaltungen für besonders brutale IRA-Terroristen schwere Vorwürfe seitens der Öffentlichkeit ein. Und schließlich ließ sie es an Transparenz bezüglich der Finanzierung ihres villenartigen Eigenheims fehlen. Es waren harte Lehrjahre, in denen Adams aber nie den Glauben an McDonald und die Vision, der sie dienen sollte, verlor, was diese wiederum zu besonderer Treue gegenüber dem „Paten“ verpflichtete.
Es sollte sich für McDonald auszahlen: 2018 erbte sie von Adams endlich den Parteivorsitz, nachdem sie sich bereits als herausragende Parlamentsabgeordnete profiliert hatte. Selbst Ex-Ministerpräsident Bertie Ahern bescheinigte ihr die Eignung für das Amt. Allein durch die Präsenz der inzwischen zweifachen Mutter schien die Brandmauer zumindest brüchig zu werden.
Doch nun, vor der Neuwahl des Parlaments am 29. November, ist vom Höhenflug ihrer Popularität nicht mehr viel übrig. Einerseits wegen der Einwanderung, unter der Irland stöhnt, da vor allem die Sinn-Féin-Klientel dem internationalistischen Anspruch, den die linke Partei heute pflegt, nicht viel abgewinnen kann. Andererseits haben Skandale um sexuell unangemessenes Verhalten einiger Mandatsträger die Partei erschüttert. Und doch kann trotz absehbarer Verluste – allerdings je nach dem noch gänzlich offenen Ausgang der Wahl – McDonalds Persönlichkeit ausschlaggebend sein, die drittplazierte Sinn Féin im Duell zwischen Fine Gael und Fianna Fáil zum Königsmacher zu befördern.
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