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Berichte und Bilder zum Nordirlandkonflikt

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Generation ausgesperrt

© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 18/23 / 28. April 2023

Generation ausgesperrt
Irland: In den großen Städten verarmen immer mehr Menschen. Die junge freiheit hat einen Helfer getroffen

Daniel Körtel

Es herrscht wieder geschäftiges Treiben in der Bow Street. Die enge Straße nahe der Innenstadt der irischen Hauptstadt Dublin, nicht weit vom Strom der Liffey und in unmittelbarer Nachbarschaft zum Whiskey-Museum der einstigen Brennerei Jameson, ist zu einem Epizentrum der sich verschärfenden sozialen Krise geworden, unter der die Republik Irland leidet. Hier ist das Capuchin Day Centre, wo Bedürftige an den zwei Ausgabestellen zur Straße hin in einer blauen, in der Öffnung verknoteten Tüte ihr tägliches Lebensmittelpaket in Empfang nehmen. Darin enthalten sind Brot, Tee, Zucker, gekochter Schinken, gekochtes Huhn, Butter, Milch, Bohnen und Käse. Es sind Dutzende, die hier innerhalb einer Stunde an diesem Vormittag vorbeikommen und deren Zusammensetzung eine große Bandbreite aufweist.

Im ersten Stock des Gebäudes sitzt Alan Bailey, der Leiter der Einrichtung, in seinem Büro. Der 72jährige frühere Polizist ist seit 2011 auf diesem Posten. Er erzählt über das 1969 gegründete Capuchin Day Centre. Anfangs, als die Umgebung noch von Slums durchsetzt war, bestand die Klientel ausschließlich aus „Männern mit Alkoholproblemen, 20 Leute jeden Tag“. Mit der Verbreitung von Heroin kamen in den 1970er und 80er Jahren obdachlose Frauen hinzu.

Es gibt jedoch einen neuen Trend, von dem Bailey berichtet, mit dem er und seine rund 100 freiwilligen Helfer konfrontiert werden: Es kommen inzwischen verstärkt Familien, die um Hilfe bitten. Darunter sogar solche mit Wohnung und Haus. Die „Kundschaft“ werde globaler. Die Zahlen sprechen für sich: 1.400 Lebensmittelpakete werden täglich ausgegeben, zum Frühstück kommen 300 Personen und zum Mittagessen 700 in den kleinen Speisesaal, wo in einer Ecke sich die fertig verpackten blauen Tüten zu Haufen stapeln. Das Angebot wurde inzwischen erweitert. Das Center bietet auch kostenlose medizinische Hilfe an, ebenso einen Friseur und Duschmöglichkeiten.

Bailey bringt die Philosophie des Centers auf den Punkt: „Niemand fragt nach Namen, wir beurteilen nicht.“ – Anonymität ist garantiert. Selbst auf die Ernährungsgewohnheiten von Muslimen wird Rücksicht genommen. Damit entfällt auch jede Registrierung einer Zuwendung. Die Ausnahmen bilden lediglich die Ärzte für ihre Untersuchungen. Das Center enthält sich auch jeder politischen Stellungnahme. Die Kosten von rund 4 Millionen Euro pro Jahr werden aus Spenden finanziert, zu denen die irische Regierung 400.000 Euro beisteuert. „Wir hatten nicht erwartet, derart beschäftigt zu sein“, so Bailey über die jüngste Entwicklung, aber der Einsatz praktischer Nächstenliebe sei lohnend. Dennoch: „Wir hoffen, es wird enden.“

Die Mieten in Dublin haben sich seit 2010 fast verdoppelt

Das Capuchin Day Centre ist ein Laienapostolat – ein so bezeichneter „Sendungsauftrag der Kirche an die Gläubigen“ – des Kapuzinerordens, der wiederum aus dem von dem heiligen Franziskus (1181/82–1226) gegründeten Bettelorden der Franziskaner hervorgegangen ist und dessen bekanntestes Merkmal die nach hinten spitz zulaufenden Kapuzen ihrer Mönchskutten sind. Die Räumlichkeiten in Dublin sind Eigentum des Ordens, Vorsitz und Vorstand werden größtenteils von den Kapuzinern gestellt, doch werden Mönche wie tätige Laien vom selben Ethos getragen. Wie eine Auszeichnung war der Besuch von Papst Franziskus, der 2018 bei seiner Irland-Reise auch dem Center seine Aufwartung machte und dort im Speisesaal Platz nahm.

Es erscheint paradox: 2013 hat Irland die 2008 ausgebrochene Banken- und Finanzkrise mit ihren drastischen Verheerungen auf die Gesamtwirtschaft des Landes hinter sich gelassen. Mit seinen jüngsten Wachstumsraten knüpft das Land zumindest statistisch wieder an die Erfolgsgeschichte des „keltischen Tigers“ an, womit es in den 1990er Jahren seinen Status als Armenhaus Westeuropas hinter sich gelassen hat. Und doch ist vor allem in den Ballungszentren die Not sichtbar, die sich weniger in fehlenden Arbeitsplätzen äußert, sondern in einem grassierenden Mangel an bezahlbarem Wohnraum.

Der Hauskauf ist für jüngere Menschen unerschwinglich geworden. Zu steigenden Mieten kommt die Inflation, die es kaum erlaubt, Erspartes zur Seite zu legen. Betrug 2010 die durchschnittliche Miete innerhalb Dublins 979 Euro (außerhalb: 626 Euro), so stieg sie bis 2021 auf 1.916 Euro (1.114 Euro). Die Obdachlosigkeit nimmt zu, manch Betroffene übernachten bei Freunden („Couchsurfing“), im eigenen Auto oder bleiben weiterhin im Elternhaus. Generation „Locked-out – Ausgesperrt“, von einem Leben in den eigenen vier Wänden mit dazugehöriger eigener Familie. Die Irish Times verglich die Jagd nach Wohnungen mit den „Hunger Games – Hungerspielen“, der Filmreihe über eine dystopische Zukunft, in der verschiedene Gruppen sich ein tödliches Spiel mit nur einem Gewinner liefern.

Mehrere Ursachen liegen dieser Krise zugrunde. Zum einen zog sich bereits in den 1990er Jahren der irische Staat unter dem Einfluß des Neoliberalismus aus dem sozialen Wohnungsbau zurück. Private Marktteilnehmer sollten allein regeln, wo der Staat seit der Unabhängigkeit 1922 erfolgreich involviert war. In der politischen Elite vollzog sich ein Mentalitätswechsel, indem man den Wohnraum mehr als Ware, denn als soziales Bedürfnis ansah. Doch als krisenverschärfend erwies sich die Einladung an globale institutionelle Anleger durch die staatliche Behörde NAMA (National Asset Management Agency), die als „Bad Bank“ die toxischen Kredite aus der Finanzkrise verwaltete, auf dem irischen Immobilienmarkt tätig zu werden.

Die sozialen Konflikte drohen zunehmend zu eskalieren

Gleichzeitig sorgt die zunehmende Migration, nicht allein durch Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine, für einen anhaltenden Nachfrageschub am Wohnungsmarkt. Die aggressiven Proteste und Übergriffe von Anwohnern allein in Dublin und Cork gegenüber Migranten zeigen nur allzu deutlich, daß die „Hungerspiele“ auf ein heißeres Szenario zuzulaufen drohen.

Im März endete das im Oktober 2022 erlassene Räumungsverbot, das Mietern einen gewissen Schutz vor Räumung bot, solange sie nicht wegen Mietzahlungsausfällen oder verhaltensbedingt negativ auffielen. In Irland sind die Schutzrechte von Mietern ohnehin weit unter dem Standard im übrigen Europa. Weit verbreitet sind die Befürchtungen über die Auswirkungen auf das Leben ganz gewöhnlicher Menschen, die kaum Alternativen auf einem überhitzten Wohnungsmarkt haben. Es ist keine Kleinigkeit bei einem Volk, in welchem die historische Erfahrung der willkürlichen Vertreibung aus ihren Häusern durch britische Grundherren tiefverwurzelte Ängste im kollektiven Bewußtsein hinterlassen hat.

Fast ein kleines Wunder

© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 16/23 / 14. April 2023

Fast ein kleines Wunder
Nordirland: Vor 25 Jahren beendete das Karfreitagsabkommen den Bürgerkrieg in der britischen Unruheregion

Daniel Körtel

Die „Internationale Mauer“ in Belfast, an der mitten in der irisch-katholischen Hochburg der Stadt die Divis Street und die Falls Road ineinander übergehen, ist eine Sehenswürdigkeit, die kaum ein Tourist ausläßt. Abwechselnde Wandmalereien verbreiten darauf Propagandabotschaften der irisch-republikanischen Bewegung und der mit ihnen verbundenen sogenannten „Freiheitsbewegungen“ der Palästinenser und Kurden, wie auch des kommunistischen Regimes auf Kuba. Es ist der Nachmittag des Karsamstags, als sich hier die traditionelle Osterparade der Republikaner in Bewegung setzt.

In der irischen Geschichte besitzt Ostern eine über seinen christlichen Bezug weit hinausreichende Bedeutung. Sie verbindet sich mit dem Opfergang irischer Freiheitskämpfer, die Ostern 1916 von Dublin aus den Aufstand gegen die britische Oberherrschaft probten. Trotz seines Scheiterns wurde der Osteraufstand zur Initialzündung eines Guerillakrieges, an dessen Ende 1922 die Unabhängigkeit Irlands stand, aber auch die Teilung der Insel in einen katholischen Süden und das weiterhin zu Großbritannien zugehörige, mehrheitlich von Protestanten bewohnte Nordirland.

Den ersten Teil der Kolonne bildet eine Abteilung Männer und Frauen im Marschtritt, in schwarz-grauer Uniform, mit Barett und Sonnenbrille, die irische Trikolore vorantragend, gefolgt von den Flaggen der vier irischen Provinzen. Des weiteren folgen sechs Kinder, die jeweils eine Osterlilie tragen, das Symbol der irischen Freiheit, und ein Porträt eines der 1916 von den Briten hingerichteten Anführers des Osteraufstands. Nach ihnen kommt eine kleine Abordnung der „Antifa“, ausstaffiert wie der „Schwarze Block“, zwischendurch Bengalos zündend. Den Abschluß bildet ein Spielmannstrupp und eine Gruppe aus Angehörigen linksnationalistischer Kämpfer und Aktivisten.

„Die vergangenen 25 Jahre waren besser als die 25 Jahre davor“

Der martialische Aufzug steht in einem denkbaren Kontrast zur übrigen Stimmung in der einstigen britischen Unruheprovinz. Zu Ostern dieses Jahres wird vielfach an das zu Karfreitag 1998 zwischen den Konfliktparteien ausgehandelte Karfreitagsabkommen gedacht, mit dem der 1969 zwischen irisch-katholischen Nationalisten und pro-britischen Protestanten ausgebrochene Bürgerkrieg beendet wurde. Die auch als „Troubles“ bekannten Auseinandersetzungen kosteten weit über 3.000 Menschenleben.

Wie blicken die Provinzbewohner auf die vergangenen 25 Jahre seit Abschluß des Karfreitagsabkommens zurück? Sean, der als Fahrer eines „Black Cab“ – jener schwarzen Taxiflotte, die in den Hochzeiten des Bürgerkriegs den Nahverkehr aufrechterhielt, weil der Busverkehr in den Hotspots infolge der Gewalttätigkeiten zusammenbrach und heute unter anderem Touristenführungen durchführt – ist sichtlich zufrieden: „Die vergangenen 25 Jahre waren besser als die 25 Jahre davor.“ Der Mittfünfziger aus der katholischen Siedlung Ardoyne erinnert sich noch gut an die Zeiten, als er nur durch Käfigschleusen und Leibesvisitationen durch britische Soldaten in die Innenstadt gelangen konnte. Die Sicherheitssituation in der nordirischen Provinzhauptstadt habe sich stark verbessert. Ebenso die soziale Lage der nordirischen Katholiken, die zu den Protestanten aufgeschlossen haben. Hier hebt Sean besonders hervor, daß Stellenbewerber keine diskriminierenden Auskünfte zu ihrer religiösen Identität mehr geben müßten.

Daß nach 25 Jahren Friedensprozeß in Nordirland Grund zum Optimismus besteht, ist fast schon ein kleines Wunder. Krisen im Verhältnis der Parteien untereinander führten mehrfach zum politischen Kollaps, so daß zwischendurch anstelle der Regionalregierung wieder London die Kontrolle übernehmen mußte. Doch 2007 kam es zu sogar zu einer gemeinsam von dem rabiaten Protestantenprediger Ian Paisley als „Erstem Minister“ und dem früheren IRA-Kommandanten Martin McGuinness als seinem Stellvertreter geführten Allparteienregierung; eine bis dahin undenkbar gehaltene Verbindung zweier einstiger Erzfeinde, aus der sogar eine persönliche und familiäre Freundschaft beider Protagonisten wurde, wenngleich nicht vor den Kameras.

Inzwischen ist eine neue Generation herangewachsen, die ohne die ausufernde konfessionell unterlegte Gewalt und die permanente Präsenz britischer Truppen aufgewachsen ist, für die der reformierte Polizeidienst PSNI eine Polizei wie jede andere darstellt und nicht als verlängerter bewaffneter Arm der protestantischen Herrschaft. Ihnen eröffneten sich tatsächlich vollkommen andere Möglichkeiten als den Generationen vor ihnen. Gleichwohl, der Schulsektor ist nach wie vor in konfessioneller Hand.

Die Mehrheit in der Region lehnt den Brexit ab

Mittlerweile haben sich die politischen Verhältnisse jedoch gedreht. Die Veränderungen in der Demographie haben die einstige Dominanz des protestantischen Lagers gebrochen. Aus den Regionalwahlen von 2022 ist die linksnationalistische Sinn Féin („Wir selbst“) als stärkste Kraft hervorgegangen, mit dem Anspruch ihrer Spitzenkandidatin Michelle O’Neil auf das Amt des Ersten Ministers. Doch die DUP (Democratic Unionist Party) verweigert den dazu nötigen Eintritt in die Allparteienregierung. Die von innerparteilichen Streitigkeiten und Skandalen geschüttelte DUP hat als No-Partei offenbar bis heute noch nicht in eine neue Rolle unter den geänderten Bedingungen gefunden.

Hinzu kommen die Auswirkungen des Brexits, der im Referendum von 2016 mehrheitlich in der Provinz abgelehnt wurde. Die Dinge geraten danach in Bewegung, und erstmals macht sich das republikanische Lager Hoffnung auf eine Wiedervereinigung mit dem Süden der irischen Insel. Er wisse nicht, was kommen werde, so Sean. Aber: „Change is coming – eine Änderung kommt.“

Zur Feier des Karfreitagsabkommens erwartet Nordirland hohen Besuch. Am vergangenen Dienstag kam US-Präsident Joe Biden zum Auftakt einer viertägigen Irland-Visite nach Belfast. Ihm folgen sein Amtsvorgänger Bill Clinton mit seiner Frau Hillary, die sich damals mit dem US-Sondervermittler George Mitchell entscheidend in den Verhandlungen engagiert haben. Nach den Desastern im Irak und Afghanistan haben die Amerikaner die Erinnerung an frühere Erfolge bitter nötig. Zu ihnen gesellt sich der damalige britische Premier Tony Blair, der den Frieden in Nordirland anfangs einen „unperfekten Frieden“ nannte. Auch er hat angesichts seiner ihm von den Briten nach wie vor nachgetragenen Beteiligung am Irak-Krieg der USA den strahlenden Glanz früherer Erfolge bitter nötig.

Irland ändert Kurs gegenüber Migranten

© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG – www.jungefreiheit.de   Ausgabe 8-23 15.02.23

Irland ändert Kurs gegenüber Migranten

DUBLIN. Der steigende Migrationsdruck auf die Republik Irland hat zu einer Kursänderung der bürgerlich-nationalkonservativen Regierung unter Ministerpräsident Leo Varadkar geführt. In der Vergangenheit zeigte sich Irland bislang sehr offen gegenüber Migration, doch vorige Woche auf dem Brüsseler EU-Gipfel zum Thema Migration offenbarte Varadkar eine veränderte Tonart. „Wir müssen gerecht zu Flüchtlingen sein, weil Flüchtlinge willkommen sind in Irland, und Menschen, die unseren Schutz benötigen, sollten ihn bekommen. Wir sollten auch konsequent gegenüber Menschen sein, die mit falschen Geschichten und Vortäuschungen kommen“, so Varadkar, der ebenso von beschleunigten Asylverfahren und raschen Abschiebungen sprach. (dk)

Flüchtlinge: Irland hat keinen Platz mehr

© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 04/23 / 20. Januar 2023

Flüchtlinge: Irland hat keinen Platz mehr

DUBLIN. Die Möglichkeiten der irischen Regierung, alle Flüchtlinge mit Wohnraum zu versorgen, sind nahezu ausgeschöpft. Diese Warnung erhob in der vergangenen Woche der irische Ministerpräsident Leo Varadkar: Die Regierung sei „nicht in der Lage, jedem eine Unterkunft zu garantieren.“ Nachdem das Land bereits allein aus der Ukraine mehr als 70.000 Kriegsflüchtlinge aufgenommen hat, erwartet Dublin Anfang 2023 einen weiteren Zustrom von Tausenden Menschen aus dem Kriegsgebiet. Gleichzeitig werden sich aber ab März mit Beginn der Tourismussaison die Unterbringungskapazitäten im Hotelgewerbe verringern. Ungeachtet dessen schlug Integrationsminister Roderic O’Gorman mit dem Status des Klimaflüchtlings die Schaffung einer neuen Asylkategorie vor. Der Engpaß trifft Irland zum ungünstigsten Zeitpunkt, da sich steigende Mieten und Obdachlosigkeit zu einer sozialen Krise verdichten. (dkoe)

„Reichsbürger“: Führt die Spur nun bis nach Irland?

© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG – www.jungefreiheit.de 

Ausgabe 51-22 16.12.22

„Reichsbürger“: Führt die Spur nun bis nach Irland?

DUBLIN. Eine Verbindung der unter dem Vorwurf eines Umsturzes gegen die Bundesrepublik Deutschland festgenommenen Gruppe von Reichsbürgern nach Irland setzt die euroskeptische Irish Freedom Party unter Druck. Wie die Irish Times vorige Woche berichtete, belegen mittlerweile gelöschte Tweets der Partei Kontakte ihrer Spitze zu der als Schatten-Justizministerin der Gruppe gehandelten Ex-AfD-Bundestagsabgeordneten Birgit Malsack-Winkemann. So war sie im August 2020 Gastrednerin bei einem Parteitreffen in Dublin und wurde von Parteichef Hermann Kelly zu touristischen Sehenswürdigkeiten geführt. Ein Jahr später trafen sich beide zu einer Diskussionsveranstaltung über die Covid-Maßnahmen und die Vorzüge eines EU-Austritts. Kelly verteidigte seine Kontakte zu gewählten Repräsentanten des Bundestages und distanzierte sich von jeder Form von „Nazismus und Verrücktheit“. Die Irish Freedom Party wurde erst 2018 gegründet und hat den Austritt Irlands aus der EU zum Ziel. Bislang blieb sie bei Wahlen erfolglos. (kö)

Irland: Haft für genderkritischen Lehrer

© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG – www.jungefreiheit.de   Ausgabe 39-22 23.09.22

Irland: Haft für genderkritischen Lehrer

Dublin. In der Republik Irland hat der Kulturkampf zwischen traditionellen Bekenntnissen und postmodernen, „woken“ Vorstellungen über Transgenderismus zu einem juristischen Tauziehen geführt. Ursächlich hierfür ist der Fall des Mittelschullehrers Enoch Burke, der an einer anglikanischen Schule in der Nähe von Dublin unterrichtete. Burke weigerte sich aufgrund seines christlichen Glaubens, der Anordnung des Schuldirektors Folge zu leisten, einen Jungen, der sich zum Mädchen erklärte und eine operative Geschlechtsumwandlung anstrebt, mit dem von ihm gewünschten Pronomen „they“ (sie) anzureden. Burke wurde daraufhin Ende August unter Beibehaltung seiner vollen Bezüge von seiner Tätigkeit suspendiert, bis zum Abschluß einer Untersuchung über sein Verhalten. Burke erschien dennoch in der Schule und wurde nach anschließender polizeilicher Festnahme ins Gefängnis gebracht. Da Burke sich kürzlich bei einer gerichtlichen Anhörung weigerte, künftig die Suspendierung zu beachten, wurde seine weitere Inhaftierung verfügt. (dk)

Schwelende Debatte um einen Nato-Beitritt

© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG – www.jungefreiheit.de   Ausgabe 28-22 08.07.22

Schwelende Debatte um einen Nato-Beitritt

DUBLIN. Nachdem Schweden und Finnland unter dem Eindruck des russischen Angriffs auf die Ukraine einen Mitgliedsantrag bei der Nato gestellt haben, läuft nun auch in der Republik Irland die Debatte um eine mögliche Aufgabe des Status der militärischen Neutralität. In der vergangenen Woche erklärte Irlands Ministerpräsident Micheal Martin am Rande des EuroAtlantic Dinner der EU und Nato in Madrid seine Position, wonach eine Aufgabe dieses Status eine Volksabstimmung juristisch nicht erforderlich mache, aber politisch notwendig sei. „Es gibt positives an der Neutralität Irlands – wir sind nicht politisch neutral – und die Neutralität zu ändern ist offensichtlich etwas, das es erforderlich macht, das Volk mitreden zu lassen.“ Innenpolitisch ist die Debatte um die irische Neutralität schon länger am Schwelen, da das Land bereits seit 20 Jahren der US-Army den an seiner Westküste gelegenen Flughafen Shannon für Zwischenlandungen unter anderem auch nach Afghanistan und den Irak zur Verfügung gestellt hat. (dk)

Der irische Knoten

© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 26/22 / 24. Juni 2022

Der irische Knoten
Nordirland: Nach der Regionalwahl ringt die britische Provinz um die Zukunft ihrer Grenze zur EU
Daniel Körtel

Die nahe der Grenze zur Republik Irland gelegene nordirische Kleinstadt Armagh ist das religiöse Zentrum der großen Kirchen Irlands. Auf einem Hügel befindet sich die St Patrick’s Cathedral, ein mittelalterlicher Kirchenbau, der auf der ersten, 445 n. Chr. von dem Inselmissionar St. Patrick errichteten Steinkirche gründet und der der anglikanischen Church of Ireland untersteht. Der Nordirland-Konflikt ging nicht spurlos an ihr vorüber; 1957 zerstörte eine nahe gelegene Bombenexplosion der IRA sämtliche Kirchenfenster ihrer Südseite.

Ihr gegenüber steht in Sichtweite auf einem Nachbarhügel die ebenfalls nach Patrick benannte, wesentlich imposantere nach gotischem Vorbild im 19. Jahrhundert erbaute katholische Kathedrale. Die Bedeutung Armaghs für die Kirchen Irlands wird noch zusätzlich als Sitz ihrer jeweiligen Oberhäupter unterstrichen.

William, der nicht mit seinem echten Namen zitiert werden will, arbeitet für eine der beiden Kirchen. Die Beziehungen zwischen beiden Konfessionen seien ausgezeichnet. Nur auf politischer Ebene seien Differenzen vorhanden, über die man aber im Alltag nicht spreche. Die Stadt sei hauptsächlich nationalistisch, also pro-irisch, eingestellt, während das Umland – vor allem die Landwirte – loyalistisch zur Union mit Großbritannien steht.

Kaum noch Vertrauen in Londons Nordirlandpolitik

Auch fast zwei Jahre nach dem Brexit herrsche Ratlosigkeit, wie sich der künftige, noch umstrittene Status der Provinz Nordirland im Verhältnis zur EU gestalten soll. Die Folgen seien bereits im Alltag angekommen, vor allem durch die Lieferschwierigkeiten bei medizinischen Produkten, die durch die Güterverkehrskontrolle durch die Irische See im Hafen zurückgehalten werden. Dennoch, eine harte Grenze als Zukunft Nordirlands mag William sich nicht vorstellen. Auch eine Wiedervereinigung mit dem Süden hält er für unrealistisch, da die Nordiren kaum die Vorteile des kostenlosen NHS (National Health Service), des staatlichen Gesundheitsdienstes, aufgeben wollten. Jedoch: „Brexit is a mess – der Brexit ist ein Chaos“, bringt William seine Frustration auf den Punkt.

Als die britischen Wähler im Juni 2016 in einem knappen Referendum den Brexit beschlossen, „entzündeten sie eine massive existentielle Explosion innerhalb der schon brennenden politischen Atmosphäre in Nordirland“. Die sich in den folgenden Jahren daraus ergebende Dynamik droht teilweise sogar ihre Urheber zu verschlingen: Nordirlands führende Unionistenpartei DUP (Democratic Unionist Party) hoffte im Brexit die Bindung an Großbritannien zu verstärken. Doch in der nordirischen Regionalwahl vom vergangenen Mai verdrängten die Wähler sie mit einem historischen Machtverlust von der Spitze.

An führender Stelle könnte künftig stattdessen, etwas mehr als 100 Jahre nach der politischen Trennung Irlands, mit Michelle O’Neill erstmals einen Premierminister bekommen, der von der Sinn Féin (SF) gestellt wird, dem früheren politischen Arm der irisch-nationalistischen Untergrundbewegung IRA. Allein, die notwendige Voraussetzung – der Eintritt der DUP in die von dem Karfreitagsabkommen von 1998 vorgegebene Allparteienregierung – ist nach wie vor nicht gegeben. Der Grund hierfür ist die offene Frage, wie das Backstop-Protokoll im Austrittsabkommen zwischen Großbritannien und der EU im Sinne der Unionisten gelöst werden soll.

Das Protokoll regelt die Einfuhr von Gütern von Nordirland in die Irische Republik. Um hier eine harte Grenze mit Kontrollpunkten zu vermeiden und Nordirland im EU-Binnenmarkt zu halten, ist die Einfuhrkontrolle in Ost-West-Richtung in die Irische See verlegt worden. Doch dies bedeutet einen hohen administrativen Aufwand, so daß als eine Folge dieser Seegrenze der Güterverkehr von der Republik nach Nordirland dramatisch zugenommen hat, um diesen Beschränkungen zu entgehen. Für die Unionisten ist diese Seegrenze eine für sie unerträgliche Unterminierung des Status Nordirlands innerhalb des Vereinigten Königreichs.

Die SF-Nationalisten wiederum weisen darauf hin, daß beim Brexit-Referendum der Wählerwille in Nordirland sich mit deutlicher Mehrheit für einen Verbleib in der EU entschieden hat. Die alten Befürchtungen werden wieder wach, wonach Irland letztendlich in entscheidenden Dingen von England aus fremdbestimmt wird.

Doch die Angst vor der Wiedereinführung der harten Grenze weist jenseits aller Formalien auch auf ein tiefsitzendes psychologisches Element hin. Über Jahrzehnte war die innerirische Grenze auch ein Identitätsmarker, der Briten und Iren voneinander schied. Auf britischer Seite war sie zudem stark militärisch ausgebaut. „Der Brexit war eher eine Trauma-Erfahrung als eine Debatte über Handelsregeln und Zölle“, so der Politikwissenschaftler Feargal Cochrane: „Wie auch immer, es weist wenig darauf hin, daß die britische Regierung um diesen Aspekt wußte beziehungsweise sich darum scherte, wie sich ihre Verhandlungen auf das Leben der Menschen auswirken würden.“

Unterdessen hat in der vergangenen Woche die britische Regierung ihr Gesetzesvorhaben zur Änderung des Protokolls vorgestellt. Das Gesetz, das nicht der Zustimmung der nordirischen Regionalversammlung bedarf, soll den Güterverkehr nach Nordirland in zwei Linien differenzieren. Eine grüne, über die mit geringem Aufwand ausschließlich für den britischen Binnenmarkt bestimmte Waren, und eine rote, über die weitere Waren in die Republik Irland laufen sollen. Ebenso soll durch das Gesetz das nordirische Gewerbe von den gleichen Steuererleichterungen profitieren können wie der Rest in Großbritannien, was durch die EU-Regularien derzeit ausgeschlossen ist. Erwartungsgemäß haben Dublin und Brüssel gegen das Vorhaben vehement protestiert.

William in Armagh wiederum setzt wenig Vertrauen in die Verhandlungsführung des innerparteilich geschwächten Premiers Johnson, den er für schlimmer hält als seine inzwischen legendäre Amtsvorgängerin Margaret Thatcher. Bei ihr hätte man wenigstens gewußt, woran man war. Doch Johnson wisse wahrscheinlich selber nicht, was er wolle.

So vieles die Unionisten und die Nationalisten trennt, so ist ihnen eines gemeinsam: die historische Erfahrung der begrenzten Vertrauenswürdigkeit britischer Regierungen. „Wenn du einem britischen Politiker die Hand gibst, zähl hinterher deine Finger“, so sagt man in Nordirland.

Foto: Protestplakat gegen die Absicht Londons, das Grenzprotokoll zu ändern nahe Omagh: „Halt dich zurück, Boris“

Nordirland: Irland teilt die Sinn-Féin-Euphorie nicht

© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 20/22 / 13. Mai 2022

Nordirland: Irland teilt die Sinn-Féin-Euphorie nicht

BELFAST. Nach der Regionalwahl in der vergangenen Woche steht Nordirland vor einer Zeitenwende. Die aus ihr mit leichten Gewinnen als stärkste Kraft hervorgegangene irisch-nationalistische Sinn Féin („Wir selbst“) ist erstmals in der Position, mit ihrer Spitzenkandidatin Michelle O’Neill den Premierminister zu stellen. Mit deutlichen Verlusten kam die bisher führende pro-britische DUP (Democratic Unionist Party) knapp dahinter. Als überraschender Dritter konnte sich mit deutlichen Zugewinnen die überkonfessionelle Alliance Party positionieren. Damit ist mehr als 100 Jahre nach seiner Gründung als „ein protestantischer Staat für ein protestantisches Volk“ und fast 25 Jahre nach der Verabschiedung des Karfreitagsabkommens, das den langjährigen national-konfessionellen Bürgerkrieg in der britischen Unruheprovinz beendete, die Dominanz des protestantischen Lagers gebrochen. Sinn Féin konnte vor allem von der Zersplitterung des unionistischen Lagers profitieren. Der Erfolg der Alliance Party weckte hingegen bei vielen Kommentatoren die Hoffnung, daß sich zunehmend mehr Wähler abseits der bisherigen „Stammespolitik“ orientieren und hier die politische Mitte eine Stimme gefunden hat. Unterdessen haben die Bemühungen um die Einrichtung einer Allparteienregierung Fahrt aufgenommen. Die DUP macht ihren Eintritt davon abhängig, daß die britische Regierung ihren Bedenken hinsichtlich des Protokolls über die Regelung der Grenzfrage zu Irland Rechnung trägt. Seit dem Austritt der DUP aus Protest gegen das Protokoll im vergangenen Februar steht Nordirland ohne Regierung da. Die Vorsitzende der Sinn Féin, Mary Lou McDonald, wiederum schlug ein Referendum über ein vereintes Irland innerhalb der nächsten fünf Jahre vor. Irlands Außenminister Simon Coveney jedoch sieht hierfür keinen Spielraum, da die Kräfteverhältnisse zwischen Nationalisten und Unionisten weiterhin unverändert seien. (dk)

Ex-Soldatin wegen IS-Beteiligung angeklagt

© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG – www.jungefreiheit.de 

Ausgabe 06-22 04.02.22

Ex-Soldatin wegen IS-Beteiligung angeklagt

Dublin. In Dublin läuft derzeit die juristische Aufarbeitung des Falls Lisa Smith, einer früheren Angehörigen der irischen Streitkräfte. Die 39jährige Smith ist angeklagt der Unterstützung und Mitgliedschaft im Islamischen Staat. Von 2015 bis 2019 befand sie sich auf vom IS okkupierten syrischen Territorium, wo sie als Zweitfrau eines britischen Dschihadisten ein Kind gebar. Vorige Woche sagte eine Zeugin aus, die Ursache ihrer Radikalisierung liege in der persönlichen Erfahrung der Ablehnung durch ihre Herkunftsgesellschaft begründet. Der Islam sei attraktiv für Menschen mit geringer Selbstachtung und Haß, während Smith die Aufmerksamkeit arabischer Männer genoß „mit dieser Begierde und der Besessenheit von weißen Frauen“. Smith, die im Hidschab verschleiert vor Gericht erschien, wies die Vorwürfe bislang zurück. (dk)

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