© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 14/24 / 29. März 2024
Von Schlägern zu Dealern
Irlands Drogengeschäft: Der Aufstiegsrausch hat zur Geburt transnationaler Kartelle geführt
Daniel Körtel
So blutig wurde im „Brownes Steakhouse“ wohl kein Steak genossen. Der Familienvater Jason Hennessey saß an Heiligabend in einem vollen Restaurant im Dubliner Vorort Blanchardstown mit seinem erwachsenen Sohn und anderen Kumpanen zu Tisch. Dann trat Tristan Sherry, ein junger Kleinkrimineller an ihn heran und schoß ihm mit einer kleinen Maschinenpistole mehr als einmal in den Nacken. Der Schuß ging aber nach hinten los – als es zu einer Ladehemmung kam, ergriffen Hennesseys Kumpane die Gelegenheit. Sie stürzten sich auf den Schützen, schlugen und stachen fast 30mal auf ihn ein, so daß er noch an Ort und Stelle seinen Verletzungen erlag. Sein Opfer starb zehn Tage später an den Folgen der Schußverletzungen.
Der Zwischenfall erinnerte die Iren in drastischer Weise daran, wie ihre Insel seit Jahrzehnten unter der organisierten Kriminalität leidet. Inzwischen hat sich „Gangland“ in den allgemeinen Sprachgebrauch eingebürgert. Oft verschwimmen die Grenzen zu den paramilitärischen Gruppierungen nationalistischer Fraktionen. Ihre Strukturen bildeten sich erst ab den 1960er Jahren mit aufkommendem Wohlstand und dem Aufstieg des Landes zum „Keltischen Tiger“, von dem vor allem die neue Mittelschicht profitierte, während die Unterschicht nicht mithalten konnte.
Im verarmten Norden Dublins erkannten die bisher als Räuber und Lösegelderpresser tätigen Gangster ein neues Potential im Drogenhandel. Die sozialen Aufsteiger boten Nachfrage nach dem vermeintlich „sauberen“ Kokain. Die fast 1.500 Kilometer lange, kaum zu überwachende Küstenlinie der grünen Insel wirkte wie ein Sieb, durch das das weiße Gift in die Gesellschaft einsickern konnte.
An die Spitze der Hierarchie setzte sich das Kartell um Christy Kinahan und seine Söhne Christopher Jr. und Daniel. Die Knotenpunkte ihres Netzwerkes verliefen durch die Umschlagplätze Antwerpen, Rotterdam und Spanien, über die das Kokain aus den Anbaugebieten Südamerikas kam. Gemeinsam mit der niederländisch-marokkanischen Mafia, der italienischen Camorra und dem osteuropäischen Mob bildeten sie ein Super-Kartell. Irlands Immobilienboom bot beste Gelegenheiten, das Drogengeld zu waschen.
Beispielsweise in der Sportbranche. Dabei wurde auch keineswegs vor dem Einsatz öffentlich inszenierter Gewalt zurückgeschreckt. Ihr Höhepunkt war der im Februar 2016 mit militärischer Präzision ausgeführte Überfall eines Kommandos der konkurrierenden „Hutch Gang“ auf das Dubliner Regency-Hotel, in dem zur Vorbereitung eines Box-Matches das Wiegen der Athleten stattfand. Das sechsköpfige Kommando war als Spezialeinheit der Polizei verkleidet, einer davon sogar als Frau. Das Ziel, Box-Promoter Daniel Kinahan, war jedoch frühzeitig gegangen. So traf es einen seiner engsten Kumpane, David Byrne. Die Kämpfe der beiden Gangs forderten 18 Todesopfer und konnten nur dank massiven Polizeieinsatzes gestoppt werden.
Die junge Generation füllt das Machtvakuum
Nach dem Mord an Byrne haben die Kinahans Dubai als sicheren Rückzugsort gewählt. Der Grund: Es besteht kein Auslieferungsabkommen mit Irland. Zudem kommt das in islamischen Staaten verwendete Hawala-Finanzsystem den Interessen des Kartells perfekt entgegen. Die darüber laufenden Transaktionen werden kaum dokumentiert. Doch inzwischen zieht sich die Schlinge um den Drogenclan immer enger. 2022 verhängten die US-Behörden gemeinsam mit ihren irischen und britischen Kollegen Sanktionen gegen die Clan-Führung und lobten eine Belohnung von 5 Millionen Dollar aus für Informationen, die zu ihrer Festnahme und Verurteilung führen.
Anfang dieses Monats fand ausgerechnet in Dubai der Weltgipfel der Polizei statt. Irlands Polizeichef Drew Harris gab sich dort vor seinen internationalen Kollegen zerknirscht darüber, daß sich die Kinahans seit den 1980er Jahren von einer kleinen Gang in Dublin zu einem globalen Drogenkartell mit einem Wert von über einer Milliarde Euro entwickelten. Immerhin fand er darin Trost, daß die Isolation in Dubai nicht nur das Geschäft erschwere: „Für Daniel Kinahan wird es nur noch sehr wenige Selfies mit Prominenten geben.“
Doch es ist kaum anzunehmen, daß die Ausschaltung des Kartells zu einem Ende der Drogenschwemme führen wird. Laut dem United Nations Office on Drugs and Crime ist Irland das Land mit dem weltweit vierthöchsten Bevölkerungsanteil der Kokainkonsumenten. Die Organisation warnte vor steigender Gewalt im Kampf um expandierende Märkte. Die irische Investigativjournalistin Nicola Tallant macht dabei eine eindrucksvolle Rechnung um die Gewinne in dem Milliarden-Geschäft um das weiße Gift auf: „Ein Kilo Kokain im Einzelverkauf von ungefähr 1.500 Euro an der Quelle hat eine Spanne von 70.000 Euro, sobald es in den Pubs und Clubs in Irland aufschlägt. Es ist die Nachfrageseite, die vermutlich am eigenartigsten ist.“
Noch deutlicher beschreibt Michael O’Sullivan, der Ex-Direktor des Maritime Analysis Operation Center die Zukunft des Kokainhandels: „Junge Menschen haben ein immer höheres verfügbares Einkommen. Sie haben kein Problem damit, Kokain zu kaufen und sehen nicht ein, warum sie es nicht tun sollten.“ Ebenso wird das nach der Flucht der Kinahans entstandene Machtvakuum von den jungen „Instagram-Gangstern“ gefüllt. Sie treten nicht nur aggressiver auf, sie präsentieren sich offen in den sozialen Netzwerken. Tallant zufolge trat eine chaotische Situation ein, deren Weg sich zu den Schulden zurückverfolgen läßt, die die neuen Akteure bei den Kinahans angehäuft haben.
Die anhaltende Flutung Irlands durch illegale Drogen machten zuletzt zwei Meldungen deutlich: Ende Dezember entdeckten Ermittler in Limerick auf einem aus Brasilien kommenden Frachtschiff hochreines Kokain im Wert von 20 Millionen Euro. Und im Hafen Corks kam eine halbe Tonne Crystal Meth zum Vorschein. Der mutmaßliche Exporteur: das Sinola-Kartell aus Mexiko, das aufgrund seiner Brutalität als besonders gefürchtet gilt. Im Fokus der Ermittlungen steht Morris O’Shea Salazar, ein Mann mit irisch-mexikanischen Wurzeln, der der obersten Ebene des Sinola-Kartells zugerechnet wird. Die Sucht der Konsumenten und die Gier der Drogen-Clans bilden die feste Klammer, die Irland noch lange im Griff behalten wird.