Berichte und Bilder zum Nordirlandkonflikt

Monat: Februar 2021 (Seite 4 von 5)

Das Ende einer politischen Ära

© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 20/08 09. Mai 2008

Das Ende einer politischen Ära
Irland: Knappes Rennen um Zustimmung zum EU-Reformvertrag / Premier Ahern verliert wegen Korruptionsvorwürfen Amt an Cowen

Daniel Körtel

Schlechte Nachrichten für die Anhänger des EU-Reformvertrags brachte eine aktuelle Meinungsumfrage in Irland. Der bislang deutliche Vorsprung des „Yes“-Lagers schmilzt: Nur noch 34 Prozent der irischen Wähler wollen in dem für den 12. Juni angesetzten Referendum dem Lissaboner Vertragswerk ihre Zustimmung geben, während das „No“-Lager mit 31 Prozent aufschließt. 34 Prozent sind noch unentschiedenen. Eine andere Umfrage ergab, daß 80 Prozent den wegen seiner „byzantinischen Komplexität“ kritisierten Vertragstext nicht verstehen.

Diese für die irische Regierung pessimistischen Zahlen fallen in eine Zeit der politischen Zäsur für Irland. Nach elf Jahren als Premier und 14 Jahren als Chef der nationalkonservativen Partei Fianna Fáil („Soldaten des Schicksals“) übergab Bertie Ahern am Dienstag beide Ämter an Finanzminister Brian Cowen. Vorausgegangen war eine jahrelange Untersuchung eines außerparlamentarischen Tribunals zur Klärung privater Geldspenden aus Geschäftskreisen an Ahern, die sich auf 850.000 Euro summierten.

„Ich habe niemals ein Bestechungsgeld angenommen“, beteuerte Ahern, „ich habe nichts Unrechtes getan und niemandem Unrecht zugefügt.“ Obwohl er sich mit plausiblen Erklärungen für die Zahlungen oftmals bis zur Peinlichkeit schwertat, konnte ihm bislang kein schwerwiegendes Fehlverhalten nachgewiesen werden. Doch der quälende Verlauf des nicht enden wollenden Tribunals lähmte zusammen mit dem Sperrfeuer von Medien und Opposition die Regierungsarbeit.

„Ich unterwerfe mich dem Urteil der Geschichte“, schloß Ahern seine Rücktrittserklärung, mit der er im April eine Ära beendete, in der er dem auf seine Traditionen bestehenden „Alten Irland“ den Stempel der Moderne aufdrückte. Er war maßgeblich beteiligt am Wirtschaftswunder, welches das einst bitterarme Land zum „Keltischen Tiger“ emporsteigen ließ. Auch gehört er zu den wichtigsten Architekten des nordirischen Friedensprozesses. Damit einhergehend bewirkte er eine Normalisierung in den Beziehungen zu Großbritannien, dem früheren Kolonialherren. Sein geschicktes Spiel mit der nationalen Karte zeigte er 2006, als er nach jahrzehntelanger Unterbrechung wieder Militärparaden zum Gedenken an den Osteraufstand von 1916 initiierte (JF 17/06).

Als erster geschiedener Ministerpräsident Irlands verkörpert er in seiner Lebensführung den drastischen Wertewandel in dem einst streng katholischen Land, wo Ehescheidungen erst seit 1995 gesetzlich erlaubt sind. Dazu paßt auch das Koalitionsexperiment, das Ahern mit seiner Fianna Fáil zusammen mit den liberalen Progressive Democrats und den Grünen eingegangen ist. Auf der Agenda dieser Jamaika-Koalition steht auch die Schaffung eines Rechtsinstituts für homosexuelle Partnerschaften. Ein Gesetzesentwurf ist bereits in Arbeit.

Inwieweit das Tribunal, dessen Arbeit trotz des Rücktritts weiterläuft, Aherns Bild noch trüben wird, bleibt offen. Hier wäre er in bester Gesellschaft mit Amtsvorgängern wie seinem politischen Ziehvater Charles Haughey (1925-2006), dessen Finanzskandale ebenfalls Gegenstand eines Tribunals wurden. Ein halbes Jahr nach dessen Tod schloß dieses mit der Feststellung ab, daß Haughey in seiner Amtszeit umgerechnet über elf Millionen Euro an Bestechungsgeldern kassierte. Im Abschlußbericht wurde die sorglose Art kritisiert, mit der seinerzeit Ahern als Schatzmeister der Partei seinem Chef Blankoschecks in außergewöhnlicher Höhe ausstellte, die dieser wiederum für private Zwecke mißbrauchte. Auch wenn derartige Tribunale in westlichen Staaten keine ungewöhnlichen Erscheinungen sind, offenbart sich darin eines der grundlegenden Probleme, an denen die irische Republik krankt. Kevin Myers, rechtsliberaler Kolumnist des Independent, geht hier mit seiner Heimat hart ins Gericht: „Dies ist eine unehrliche, korrupte Gesellschaft … Unehrlichkeit – der dünne Riß im Fels, der einen Berg der Integrität auf eine sündenvolle Ebene reduziert – ist eine irische Kultur-Norm.“

Der 48jährige Cowen stand seit längerem als Aherns Wunschnachfolger fest. Er hatte schon verschiedene Ministerposten inne und erwarb sich seine Reputation als Wirtschaftsfachmann. Während Ahern auf eine glänzende Regierungsbilanz verweisen kann und sich im nord-irischen Friedensprozeß profilierte, erbt Cowen als ungelöste Baustellen den ineffizienten öffentlichen Dienst und das desolate Gesundheitssystem, für deren Reform künftig weniger Mittel zur Verfügung stehen werden. Denn der „Keltische Tiger“ zeigt Ermüdungserscheinungen: Das Wirtschaftswachstum wird dieses Jahr infolge des einbrechenden Baumarktes voraussichtlich auf die niedrigste Rate seit 20 Jahren sinken. Die Arbeitslosenrate ist mit 5,2 Prozent auf den höchsten Stand seit 1999 geklettert. Das sind denkbar schlechte Voraussetzungen für populäre Entscheidungen.

Als kurzfristige Aufgabe steht dem neuen Ministerpräsidenten das EU-Referendum bevor. Europaminister Dick Roche kündigte an, daß Cowen die Kampagne für eine Zustimmung zum Vertragswerk noch mal anfeuern wolle. Insbesondere bei den irischen Landwirten wird er es nicht leicht haben.

Sie werfen EU-Handelskommissar Peter Mandelson vor, bei den gegenwärtigen WTO-Gesprächen über eine Liberalisierung des Agrarhandels den Ausverkauf ihrer Interessen zu betreiben, und drohen an, bei dem Referendum mit einem „No“ zu stimmen. Doch Aherns Abgang könnte dem „Yes“-Lager nun sogar noch Auftrieb bescheren. „Da der Vertrag unverständlich ist, sind wir auf Anleitung angewiesen durch die, denen wir vertrauen. Wir vertrauen Ahern nicht. Wenn er für Ja stimmt, stimmen wir selbstverständlich für Nein“, brachte ein Leser der Irish Times die frustrierte Stimmung vieler Iren über dessen mangelnde Glaubwürdigkeit vor dem Tribunal spitz auf den Punkt.

Die Gefahr für die Vertragsbefürworter, daß das Referendum somit zu einer Abstimmung über Aherns Person geraten könnte, ist mit dessen Rücktritt aus dem Weg geräumt. Ein irisches „Yes“ könnte ihm, der sein Land immer strikt auf EU-freundlichen Kurs gefahren hat, sogar noch eine zweite Karriere in Brüssel bescheren.

Gebettet in keltischer Erde

© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/07 16. November 2007

Gebettet in keltischer Erde
Volkstrauertag: In Glencree befindet sich der einzige deutsche Soldatenfriedhof Irlands / Bewunderung für die Zähigkeit eines Volkes

Daniel Körtel

Die Vorstellung eines deutschen Soldatenfriedhofs in Irland erscheint zuerst abwegig, da sich die Republik im gesamten Zweiten Weltkrieg strikt neutral verhielt. Und doch weist 16 Kilometer südlich von Dublin an der Military Road, die von Enniskerry zum Sally Gap führt, ein Schild in deutscher Sprache den Weg zu einer Grabanlage, die in kaum einem Reiseführer Erwähnung findet. Hier in Glencree, einer Ortschaft in der malerischen Umgebung der Wicklow Mountains, befindet sich der einzige deutsche Soldatenfriedhof in Irland, der die Gebeine von 134 deutschen Kriegstoten beherbergt.

Im Juli 1961 wurde der vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge in zweijähriger Arbeit angelegte Friedhof unter großer Anteilnahme der irischen Bevölkerung im Beisein des damaligen irischen Außenministers Frank Aiken eingeweiht. Die Anlage versammelte die bis dahin auf der Insel verstreuten Einzelgräber an dieser zentralen Stelle, einem stillgelegten Steinbruch, direkt neben einem Wildbach gelegen.

Die dort begrabenen Toten sind hauptsächlich abgestürzte Jagdflieger und Bomberpiloten sowie ertrunkene U-Boot-Fahrer des Zweiten Weltkriegs, die als „Strandgut des Krieges“ an die irische Küste trieben. Auch sechs Soldaten, die während des Ersten Weltkriegs als Insassen eines Internierungslagers auf der grünen Insel verstarben, sind dort zur letzten Ruhe gebettet. Über die Hälfte der Toten konnte namentlich nicht ermittelt werden, da sie bei ihrer Bergung keine Soldbücher oder Erkennungsmarken mehr trugen.

Hoch über der Anlage steht am Rande des Steilhangs ein großes Keltenkreuz, wie es traditionell auf jedem irischen Friedhof zu sehen ist. Eine prismenförmige Granitstele beinhaltet in deutscher, englischer und gälischer Sprache einen tröstenden Sinnspruch, der den Besucher zum Gebet für die in Glencree gebetteten Toten auffordert, auf „daß sich Verlust in Segen verwandle“. Auf der Innenwand der kleinen Gedenkhalle ist das Goldmosaik einer trauernden Mutter aufgetragen, die ihren toten Sohn in Händen hält.

Der Berichterstatter des Volksbundes hob damals die freundschaftlichen deutsch-irischen Beziehungen hervor und lobte das besondere Entgegenkommen der irischen Behörden im Vorfeld der Errichtung der Anlage. Er sah darin ein Zeichen der Bewunderung der Iren für die Zähigkeit eines Volkes, das es auch nach zwei verlorenen Weltkriegen schaffte, sich aufzurappeln. Doch dürfte die Dankbarkeit für die – keineswegs selbstlose – deutsche Unterstützung der irischen Republikaner im Osteraufstand von 1916 ebenso eine Rolle gespielt haben wie die Zweifel vieler Iren angesichts ihrer eigenen tragischen Geschichte, ob ihr früherer Kolonialherr Großbritannien den Zweiten Weltkrieg allein aus moralischen und rechtlichen Erwägungen heraus geführt hat.

Heute, mehr als 45 Jahre nach ihrer Einweihung, ist die einst offen angelegte Anlage fast vollständig von Bäumen umschlossen. Das damals noch weithin sichtbare Keltenkreuz ist von der Straße aus nicht mehr zu sehen. Obwohl sich der Friedhof im Vergleich zu manchen anderen deutschen Soldatenfriedhöfen in einem guten Zustand befindet, ist dennoch pflegerischer Handlungsbedarf angezeigt. Viele der Inschriften auf den Kissensteinen, die für jeweils zwei Grabstellen stehen, sind infolge von Oberflächenerosion nicht mehr zu lesen. Auf den Steinkreuzen wächst das Moos, das auf den Grabfeldern angelegte Erikakraut droht zu verwildern. Die letzte gartentechnische Überholung fand 2005 statt. Alljährlich wird auf dem Soldatenfriedhof eine von der deutschen Botschaft ausgerichtete offizielle Veranstaltung zum Volkstrauertag abgehalten.

Nur wenige Meter vom Soldatenfriedhof entfernt erinnert im Besucherzentrum des „Glencree Center for Peace and Reconciliation“ – eine der Friedensarbeit für Nordirland verpflichtete Begegnungsstätte – eine Ausstellung an ein anderes anrührendes, aber hierzulande unbekanntes Kapitel deutsch-irischer Beziehungen. Hier war von 1945 bis 1950 in der früheren britischen Armeekaserne das Auffanglager für zahlreiche vom Hungertod bedrohte Kinder aus dem zerstörten Nachkriegsdeutschland, die auf Initiative des Irischen Roten Kreuzes für drei Jahre Aufnahme in irischen Pflegefamilien fanden. Diese „Operation Shamrock“ (Kleeblatt) genannte Hilfsaktion fand zu einem Zeitpunkt statt, als Irland selbst zu den ärmsten Ländern in Westeuropa zählte.

Glencree im Internet: www.denkmalprojekt.org/misc_laender/glencree_ie.htm

Mural Painting im Wandel des Friedensprozesses

Re-Imaging Communities (30.09.2007)
Mural Painting im Wandel des Friedensprozesses

Daniel Körtel

Belfast/Kassel (September 2007): In den vergangenen Monaten sind dem Friedensprozeß in Nordirland entscheidende Impulse versetzt worden. Ausgerechnet eine Koalition aus der loyalistischen DUP des Protestantenpredigers Ian Paisleys und der irisch-republikanischen Sinn Fein, dem früheren politischen Arm der IRA, stehen der im Mai 2007 neu eingesetzten Autonomieregierung vor. Wer heute Paisley und seinen Stellvertreter Martin MacGuiness fast wie gute Freunde zusammenstehen sieht, kann kaum glauben, daß beide sich erst vor kurzem noch als erbitterter Todfeinde gegenüberstanden. Ausgerechnet diese bizarre Koalition entfaltet jene positive Dynamik, die in den Jahren nach 1998 seit Verabschiedung des Karfreitagabkommens so schmerzlich vermißt wurde. Die Bewohner Nordirlands nehmen diese unerwartete Wende mit großem Optimismus auf. Die ehemalige Unruheprovinz – „Großbritanniens Kosovo“ – ist auf einem guten Weg und in ihrer Entwicklung weiter als in ihrer ganzen Geschichte, seit sie 1921 als „protestantischer Staat für ein protestantisches Volk“ gegründet wurde. Da Kunst auch immer eine Reflektion der Wirklichkeit ist, ist interessant zu beobachten, wie sich die neue Situation auf die als Mural Painting bekannte Form politischer Straßenkunst in Nordirland auswirkt.

Mural Painting geht auf eine 100 Jahre alte loyalistische Tradition zurück, die im Nordirlandkonflikt zu einer besonderen Blüte trieb. In den Hochburgen der Konfliktparteien, die klassischen Arbeiterviertel, dienen seitdem vor allem Giebelwände und Mauern als Staffage für Symbole, Ikonen, Slogans und Bilder, die mit der Identität ihrer Maler zusammenhängen.

Zwischen den auf den Wandbildern darstellten Motiven republikanischer und loyalistischer Künstler sind bedeutende Unterschiede festzustellen. Während die republikanische Seite auf ein breites Repertoire aus Mythologie, Geschichte, Politik und internationalen Beziehungen schöpfen kann, standen bislang den loyalistischen Künstlern erheblich weniger Möglichkeiten zur Verfügung, reichte ihre Geschichte auf der grünen Insel gerade 400 Jahre bis zum Beginn der Plantation – der gezielten Ansiedlung englischer und schottischer Siedler durch die Krone – zurück. Entsprechend oft findet sich in ihren Darstellungen kontinuierlich über die letzten Jahrzehnte hinweg als immer wiederkehrendes Motiv der maskierte Milizionär mit der Waffe in der Hand. In dieser erstarrten Ikonographie spiegelt sich in gewisser Weise die mentale Lage des protestantischen Lagers in Nordirland wieder, dessen einziges Ziel im Erhalt des Status Quo bestand.

Unterschiede finden sich auch im Entscheidungsprozeß, welches Motiv gemalt wird. Auf republikanischer Seite bestehen mehrer Möglichkeiten: entweder die Sinn Fein bestimmt, ein Komitee oder der Künstler selbst wählt frei aus. Auf loyalistischer Seite ist die Antwort einfach: es entscheidet einzig und allein die in dem jeweiligen Gebiet dominierende paramilitärische Gruppe. Das bedeutet aber nicht, daß bei der republikanischen Motivauswahl liberale Verhältnisse herrschen. Auch ein republikanischer Künstler wird sich schwer tun, seine Kritik an der umstrittenen Beteiligung der Sinn Fein an der Polizeiaufsicht in einem Wandbild zu thematisieren.

Im Laufe der vergangenen Jahre wurde bereits eine Reihe von besonders martialischen Wandbildern entfernt, allerdings weniger als Ergebnis des Friedensprozesses, sondern aufgrund einer brutal ausgetragenen Fehde innerhalb der UDA, des Dachverbandes der loyalistischen Milizen. „Mad Dog“ Johnny Adair und seine „B-Company“ verloren den Machtkampf und mit ihnen verschwand in der Lower Shankill Road nicht nur das rührende Porträt von Lady Di, das Adair besonders am Herz lag, sondern auch jenes bekannte brachiale Bild, das „Eddie the Beast“ (dem Maskottchen der Heavy Metal-Band Iron Maiden) als zentrales Element hatte.

Ausgehend von einem Programm der Arts Council of Northern Ireland soll die Ersetzung bestehender Wandbilder durch Motive mit positiven Inhalten forciert werden. Das im Juli 2006 vorgestellte und auf drei Jahre angesetzte Programm mit dem Titel „Re-Imaging Communities“ wird von der britischen Regierung mit 3,3 Millionen Pfund (4,78 Millionen Euro) unterstützt. Obwohl es sich an alle Gemeinschaften wendet, zielt es vor allem auf die loyalistischen Wohngebiete ab, was energische Kritik von der Sinn Fein hervorrief.

Die britische Kulturministerin Maria Eagle ist voll des Lobes für das Projekt: “ Die Absicht des Programms ‚Re-Imaging Communities‘ wird es sein, die örtlichen Bewohner und ihre Gemeinschaften dazu motivieren, Wege zu finden, um trennende Wandbilder und Embleme durch solche mit positiverer Bildkraft zu ersetzen.

Neue Wandbilder und öffentliche Kunst wird Parks, Wohngebiete und Neubaugebiete über ganz Nordirland hinweg umgestalten, das Bestreben der ganzen Gemeinschaft feiern und Menschen dabei helfen, sich als Teil ihrer örtlichen Gemeinschaft zu fühlen.“

Ihr Kollege David Hanson vom Sozialministerium wird noch deutlicher, wenn er erklärt, daß das ultimative Ziel des Programms in der Befreiung der Gemeinschaften von paramilitärischen Einflüssen besteht.
Zusätzlich bestehen nach Auskunft des Soziologen Bill Rolston sogar Überlegungen, die Peaceline zwischen Falls und Shankill zu bemalen!

Erste Ergebnisse des Umgestaltungsprozesses sind bereits jetzt zu besichtigen und zeigen die Schwierigkeiten der loyalistischen Künstler bei der Motivauswahl. So ist auf zwei neuen Wandbildern der aus Belfast stammende Weltklasse-Fußballspieler George Best zu sehen, der 2003 verstarb und unter großer Anteilnahme der nordirischen Bevölkerung zu Grabe getragen wurde. Das Problem bei einem solchen Motiv besteht jedoch darin, daß George Best sich nie als Loyalist, sondern als die gemäßigtere Variante Unionist verstand.

Auch zeigen sich Versuche, auf mythologische Mustervorlagen zurückzugreifen. In einem fast comicartigen, erfrischend wirkenden Stil werden in der Lower Shankill auf zwei Wandbildern neueren Datums die Legenden um Cuchulainn sowie die mythische Herkunft der Roten Hand von Ulster – Nordirlands allgegenwärtigen Symbol – dargestellt. Von den verschiedenen Legenden wurde die ausgewählt, wonach bei einer vorchristlichen Invasion Irlands zwei Kapitäne im Wettstreit miteinander lagen, wer als erster das Land erreichen würde. In Sichtweite der Küste schnitt sich einer von ihnen die rechte Hand ab, warf sie an den Strand und machte so auf recht schmerzvolle Weise seinen Erstanspruch auf das eroberte Land geltend. Der loyalistische Zugriff auf Cuchulainn – eine Art irischer Siegfried – wirkt provokativ, fast im Sinne eines „geistigen Diebstahls“, da diese Legenden-Figur eigentlich fester Bestandteil der irisch-keltischer Mythologie ist.

Der Erste Weltkrieg und die Titanic bilden die historischen Vorlagen für weitere loyalistische Motive. Im Ersten Weltkrieg meldeten sich sehr viele Milizionäre aus der UVF freiwillig zum Dienst an der Front. Ihr Blutzoll an den Materialschlachten an der Somme war sehr hoch, entsprechend tief hat sich dieses Ereignis in das kollektive Gedächtnis der protestantischen Nordiren eingegraben. Traumatisch wirkte auch die Tragödie der Titanic, die in den Docks der Belfaster Schiffswerft Harland & Wolff gebaut wurde. Die Belegschaft dieser Werft war seit jeher protestantisch dominiert und spielte eine große Rolle im Ethos der loyalistischen Arbeiterschaft.

Presseberichten zufolge sind die neuen Wandbilder in der loyalistischen Bevölkerung gut aufgenommen worden. Der Belfaster Ratsherr Tom Ekin von der überkonfessionellen Alliance Party meinte über den neuen Trend: „Ich denke, die Wandbilder reflektieren eine Zeit in unserer Geschichte und sie müssen sich ändern, so wie sich die Zeit weiterbewegt.“

„Re-Imaging Communities“ hat aber auch Widerspruch hervorgerufen. Während die Sinn Fein die aus ihrer Sicht einseitige Bevorzugung loyalistischer Wohngebiete kritisiert, lehnt Alban Maginnes von der national-katholischen SDLP das Programm empört ab: „Es ist offensichtlich, daß alle paramilitärischen Wandbilder, die dazu dienen einzuschüchtern oder Reviere zu markieren, entfernt werden sollten. Tatsächlich ist ihre weitere Existenz illegal. Deshalb spottet die heutige Ankündigung wirklich jeder Beschreibung. Die Leute sollten nicht dafür bezahlt werden, paramilitärische Wandmalereien herunterzunehmen. Man sollte sie anweisen, es zu tun.“

Der Prozeß der Umgestaltung nordirischer Konfliktgemeinden ist in vollem Gange, sein Ergebnis in der Zukunft noch nicht absehbar. Es bestätigt sich die Erwartung, daß auch ein positiver Verlauf des Friedensprozesses nicht zu einem Verschwinden dieser Wandkunst führt. Es wird lediglich ein neues, aber doch sehr bedeutendes und spannendes Kapitel in der Geschichte dieser eigenartigen Kunst geschrieben.

Dieser Report entstand als Ergebnis einer Nordirlandreise Ende August 2007 und eines in diesem Rahmen stattgefundenen Gesprächs des Berichterstatters mit Bill Rolston, einem Wissenschaftler und Buchautoren, der seit Jahrzehnten über die nordirischen Wandbilder forscht.

Kein Wort, kein Murmeln ist zu hören

© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/07 29. Juni 2007

Kein Wort, kein Murmeln ist zu hören
Eine außergewöhnliche Reise zum Lough Derg: Trotz reger Pilgertätigkeit ist der Katholizismus in Irland auf dem Rückzug
Daniel Körtel

Ganz zweifellos die treueste Tochter der katholischen Kirche“, so beschrieb der irische Literat James Joyce eine der unverwechselbaren Eigenheiten, die mit der Kultur seiner Heimat verbunden werden. Das Christentum katholischer Prägung hat in Irland tiefe Spuren hinterlassen.

Mit dem bis heute als Nationalheiligen verehrten Patrick – einem romanisierten Keltbriten – begann im 5. Jahrhundert die Christianisierung Irlands. Die neue Religion zivilisierte die durch Clankämpfe zerstrittene Insel. Aus Druiden wurden asketische Eremiten, die blühende Klöster wie Glendalough, Clonmacnoise und Monasterboice mit ihren charakteristischen Rundtürmen und monumentalen Hochkreuzen gründeten. Während das kontinentale Europa nach der Völkerwanderung ins dunkle Mittelalter zurückfiel, erhob sich Irland zur „Insel der Heiligen und Weisen“ mit „Priestern und Laien im Überfluß“. So entwickelte sich hier am atlantischen Rand Europas eine von der römischen Orthodoxie weitgehend unbeeinflußte naturverbundene, keltische Form des Christentums mit einer herausragenden Schriftkultur.

Der Sonderweg des irischen Katholizismus

Diese Epoche ging durch die Angriffe der Wikinger zugrunde, den Rest erledigte ab dem 12. Jahrhundert die Kolonisierung Irlands durch die Engländer, die dem religiösen Selbstverständnis der Iren einen unauslöschlichen Stempel aufdrückte. Die anti-katholischen Penal Laws von 1695, die irischen Katholiken grundlegende Rechte in ihrem eigenen Land verweigerten, und die katastrophale Große Hungersnot von 1845/49 führten schließlich zur Verschmelzung von religiöser und nationaler Identität der Iren. Hier wurde in den Iren in ihrer Heimat und der Diaspora das kollektive Bewußtsein geweckt, ein „auserwähltes Volk“ zu sein, dessen Glauben in der Unterdrückung durch die protestantischen Engländer einer göttlichen Prüfung unterzogen würde. Irisch zu sein wurde gleichbedeutend mit katholisch zu sein. Hierin wurzelt einer der Hauptgründe dafür, daß sich Iren nicht als „römisch-katholisch“, sondern in ihrem Sonderweg als „irisch-katholisch“ verstehen.

Dementsprechend konnte die Kirche in dem unabhängig gewordenen Irland einen übermächtigen Status auch in weltlichen Angelegenheiten einnehmen. Bis 1970 hatte ihre „besondere Position“ gar Verfassungsrang, zum Leidwesen vieler Intellektueller, die wie der irische Nationaldichter W. B. Yeats die Einschränkung der künstlerischen Freiheit durch klerikalen Druck beklagten.

Zu den ältesten Orten, die über die wechselvolle Zeit hindurch die traditionelle Volksspiritualität des irischen Katholizismus in die heutige Zeit tragen konnten, gehört die kleine Insel Station Island, auch St. Patrick’s Purgatory genannt, im Lough Derg, einem See im rauhen Nordwesten der Republik Irland. In Anlehnung an die 40 Tage, die der heilige Patrick hier verbrachte, findet auf der Insel eine regelmäßige Bußwallfahrt statt, die Pilgerschaft von Lough Derg.

Anfang Juni, wenige Tage nach Beginn der Pilgersaison, durchläuft eine Gruppe von ungefähr 20 Pilgern die erste Station ihrer dreitägigen Pilgerschaft. Seit ihrer Ankunft auf der Insel gehen sie ausschließlich barfuß und haben um Mitternacht am gleichen Tag für die Dauer ihrer Pilgerschaft zu fasten begonnen, wie es die Vorschrift verlangt.

In einer genauen Abfolge umrunden sie zuerst rechtsherum viermal die markante Basilika und beten dabei mit dem Rosenkranz das Vaterunser, das Ave Maria und das apostolische Glaubensbekenntnis. Danach begeben sie sich zu den Bußzellen, sechs runden Steinbetten, die sie betend mehrfach außen und innen rechtsherum ablaufen, jeder Kreisrhythmus jeweils unterbrochen von einer Gebetsreihe auf Knien. Schließlich erfolgt am Ufer im Gebet die Hinwendung zum Wasser. Kein Wort, kein Murmeln ist dabei zu hören. Es herrscht eine Stille, die allein von den Wasserwogen des Sees erfüllt ist. Diese mantra-artige Station werden die Pilger noch viermal an diesem Platz wiederholen – insgesamt gilt es neun Stationen zu absolvieren.

Schwerste spirituelle Bußübung ist die Nachtwache

Dieser Tag ist den Pilgern wohlgesonnen. Das Wetter ist sonnig, und eine kühle Brise vertreibt die lästigen Mücken, die einen ähnlich bösartigen Beitrag zum Bußprogramm leisten können wie der in Irland nicht unübliche harte Regen. Doch die schwerste spirituelle Bußübung ist zweifellos die Vigile, die Nachtwache, die als Höhepunkt eines 24stündigen Schlafentzugs gleich in der ersten Nacht auf der Insel in der Basilika abgehalten wird.

Bis zur Morgenmesse umkreist die Pilgerschar die Rosenkranzgebete des Vorbeters echoartig reflektierend mehrfach rechtsherum den Saal, unterbrochen von Pausen, in denen man sich mit heißem Wasser, wahlweise versetzt mit Pfeffer und Salz – dem „Lough-Derg-Drink“ – wachhält und in Gesprächen gegenseitig gegen Hunger, Kälte und Müdigkeit bestärkt. Unter den Pilgern herrscht eine sehr kontaktfreudige, fast familiäre Atmosphäre.

Die einzige während der dreitägigen Fastenzeit erlaubte Nahrung ist Haferkeks, trockener Toast und trockenes Brot. Einmal täglich darf der Pilger zusammen mit Kaffee oder Tee soviel von dieser weitgehend geschmacksfreien Kost essen, wie er will. Viele Pilger süßen sich das Brot mit Zucker.

Erstaunlicherweise fühlen sich die meisten Pilger nach den drei anstrengenden Tagen besser als vorher. Die Schmerzen in den Knien und Füßen sind schnell vergessen. Die entgiftende Fastenkur und der Schlafentzug wirken sogar stimulierend auf den Körper. Viele berichten von einem wohltuenden Langzeiteffekt über die Pilgerfahrt hinaus.

So frugal es auf dieser Pilgerschaft zugeht, ihre Beliebtheit unter den Iren ist ungebrochen. Ungefähr zehn- bis elftausend Pilger absolvieren sie jedes Jahr. Sie rekrutieren sich aus allen sozialen Schichten und Alterklassen. Sehr viele von ihnen sind „Wiederholungstäter“ und haben sie mehrfach – manchmal sogar weit über zwanzigmal und mehr – absolviert.

Doch bei weitem überwiegen die Frauen. Auf einen Pilger kommen dreimal so viele Pilgerinnen. Darauf angesprochen antworten viele Pilgerinnen: „Männer sind fauler“ oder „Frauen können Schmerzen besser ab. Besonders irische Frauen“.

Monsignore Richard Mohan, der Prior der Insel, hat für dieses Phänomen keine Erklärung und vermutet kulturelle Gründe. Frauen hätten ein besseres Gespür für das Religiöse. Auch wird der Glaube in den Familien traditionell über die Frauen vermittelt. Doch in den letzten Jahren habe sich der Anteil der Männer leicht erhöht.

Sicherlich, so Mohan, sei Lough Derg eine der anstrengendsten Pilgerfahrten, aber auch eine der lohnenswertesten. Lough Derg gebe den Menschen etwas zurück, was in der westlichen Zivilisation verlorengegangen sei.

Es sind die spirituellen keltischen Elemente der Wallfahrt, auf die Mohan anspielt: der direkte Kontakt mit der Erde durch das barfüßige Gehen, das wiederholte Laufen im Kreis, in dem sich ein immer wiederkehrendes altes Symbol der Kelten widerspiegelt – als Sinnbild des Kreislauf des Lebens -, die Hinwendung zum Wasser, einem für die Kelten sehr bedeutenden Stoff.

Das Geheimnis der Pilgerschaft von Lough Derg, die eine echte Herausforderung und harte Erfahrung darstellt, ist nur schwer in Worte zu fassen. Für viele Pilger hat in den vergangenen Jahren der spirituelle Charakter der Wallfahrt noch vor der Buße Vorrang eingenommen. Oder sie suchen an diesem „Ort des Friedens, der Buße und des Gebets“ eine Auszeit vom Alltagsstreß. Andere wiederum wollen Gott für seinen Beistand in ihrem Leben danken, auf eine Weise, von der Mohan sagt, daß Handlungen lauter sprächen als Worte.

Wie auch immer, die Pilgerschaft sorgt für eine mentale Belebung: „Wenn Sie zurückkehren, werden Ihre Probleme in der Welt immer noch da sein. Aber Sie werden sich gestärkt fühlen, ihnen zu begegnen“, wie zu Beginn der Vigile eine Nonne der Pilgerschar erklärt.

Polen nehmen auf den leeren Kirchenbänken Platz

Doch trotz des Zuspruchs, den Pilgerstätten wie Lough Derg erfahren, und obwohl sich heute fast 90 Prozent der Iren als Katholiken bezeichnen, scheinen die Zeiten, in denen Irland eine katholische Nation genannt werden konnte, unwiderruflich vorbei zu sein. Das frühere fast symbiotische Verhältnis von Kirche und Staat hat sich in sein Gegenteil verkehrt.

Einst undenkbar, sind Scheidung und Kontrazeptiva inzwischen legal und es ist vielleicht nur eine Frage der Zeit, bis auch Abtreibung als letztes gesetzliches Tabu durch eine Volksabstimmung freigegeben wird. Die Elite des Landes hat sich mit der vor rund 40 Jahren eingesetzten Säkularisierung des Staates weitgehend durchgesetzt. Skandale um pädophile Priester taten ihr übriges, um die Gläubigen von ihrer Kirche zu entfremden. Im Land herrscht ein eklatanter Priestermangel.

„In Kürze ist Religion privatisiert und aus der öffentlichen Sphäre entfernt in einem post-christlichen Irland“, warnte unlängst ein Mitglied des irischen Oberhauses.

Der irische Moraltheologe Vincent Twomey, der als Schüler von Joseph Ratzinger – dem heutigen Papst Benedict XVI. – in Regensburg studierte, hat über den gesellschaftlichen Wandel hinaus die tieferen Ursachen für „die allmähliche aber radikale Erosion des öffentlichen Gesichts und der Stimme der Kirche“ im säkularen Irland analysiert und ist in seinem 2003 erschienenen Buch „The End of Irish Catholicism?“ zu bemerkenswerten Schlußfolgerungen gekommen. Seine Schrift dürfte auch für die Kirchen im übrigen Europa mit ihren vergleichbaren Problemen von Interesse sein.

In den Reformbeschlüssen des Zweiten Vatikanischen Konzils (1965), die er nur „im Wortlaut und nicht in ihrem Geist“ umgesetzt sieht, erkennt Twomey zwei bedeutende Punkte, die die irisch-katholische Kirche besonders trafen. Zum einen werfe die Erlaubnis, die einheimische Sprache als die der Liturgie zu verwenden, in Irland besondere Probleme auf. Die englische Sprache mit ihren dahinter verborgenen rationalistischen und utilitaristischen Denkmustern ist Twomey zufolge inkompatibel mit der Theologie. Das Englisch, das nach der Großen Hungersnot die irische Muttersprache Gälisch verdrängte, sei unter dem Einfluß des englischen Philosophen Thomas Hobbes „spirituell ausgetrocknet“. Twomey konstatiert: „Wir müssen noch unsere eigene göttliche Stimme finden.“

Zum anderen erschütterte das Konzil das exklusive Selbstverständnis der irisch-katholischen Kirche durch die Neuausrichtung des kirchlichen Verhältnisses zu den anderen christlichen Weltreligionen, die nun als Teil des christlichen Körpers angesehen wurden. Ohnehin sei angesichts des transnationalen Charakters der Kirche der irische Katholizismus weder irisch noch katholisch im eigentlichen Sinne und somit theologisch fragwürdig.

Twomey rät seiner Kirche unter anderem, trotz des für sie feindlichen gesonnenen Umfeldes der irischen Medien offensiv ihre Positionen zu vertreten, auch gegen den Zeitgeist. In der wegen ihrer restriktiven Vorgaben zur Familienplanung umstrittenen Enzyklika „Humanae Vitae“ („Pillen-Enzyklika“) sieht er den kirchlichen Kontrapunkt zum beliebigen Werterelativismus der Moderne. „Was nötig ist, ist Prä-Evangelisation. Diskurs kommt später“, so Twomey. Desweiteren mahnte er die neue Etablierung von hochqualifiziertem theologischen Denken in der irischen Kirche an und hebt dabei die universitäre Theologie in Deutschland als Vorbild hervor.

Für ihre Zukunft verspricht sich die irische Kirche viel von der massiven Zuwanderung aus Osteuropa, die neuerdings wie eine Frischzellenkur auf sie wirkt. In vielen Kirchen haben polnische Immigranten auf den von den Iren geräumten Kirchenbänken Platz genommen und beeinflussen das Gemeindeleben. Doch inwieweit hiernach diese katholische Kirche noch eine irische sein wird, ist eine Frage, deren Antwort noch aussteht.

Die Pilgersaison auf Station Island im See Lough Derg geht von 1. Juni bis 15. August. Die Pilgerschaft steht Menschen aller Konfessionen offen, auch Nicht-Gläubigen! Eine Voranmeldung ist nicht nötig. Die Benutzung von Mobiltelefonen, Radios u.ä. ist auf der Insel untersagt, ebenso das Fotografieren. Der Verzehr von Kaugummi, nichtalkoholischen und alkoholischen Getränken ist nicht gestattet, ebensowenig der Verzehr von Nahrungsmitteln. Die Gebühr beträgt 45 Euro. Wer nicht zahlen kann, wird nicht abgewiesen.

Weitere Infos: www.loughderg.org

Lough Derg (Irland)

Zu den ältesten Orten, die die traditionelle Volksspiritualität des irischen Katholizismus in die heutige Zeit tragen, gehört die kleine Insel Station Island, auch St. Patrick’s Purgatory genannt, im Lough Derg, einem See im rauhen Nordwesten Irlands.

Lough Derg 2011 / © Daniel Körtel

Wahlsieg in einem vergifteten Kelch

© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/07 01. Juni 2007

Wahlsieg in einem vergifteten Kelch
Irland: Premier Ahern erneut im Amt bestätigt / Zuwachs für Opposition / Debakel für kleine Parteien
Daniel Körtel

An Enda Kenny, dem 56jährigen Chef der bürgerlichen Oppositionspartei Fine Gael (FG), hat es nicht gelegen, daß der von manchen Meinungsumfragen (JF 20/07) prophezeite Wechsel im Amt des irischen Ministerpräsidenten (Taoiseach) vorerst wohl ausbleiben wird. Denn seine FG hat mit 27,3 Prozent 51 Sitze gewonnen – das sind immerhin 20 mehr als 2002. Aber für eine Regierungsmehrheit sind 84 Stimmen notwendig, doch die bringen die beiden potentiellen „Regenbogen“-Koalitionspartner nicht zusammen. Die sozialdemokratische Labour Party kommt mit 10,1 Prozent nur noch auf 20 statt 21 Sitze, und die Grünen konnten mit 4,7 Prozent ihre sechs Mandate gerade halten.

Der nationalkonservativen Regierungspartei Fianna Fáil (FF) von Premier Bertie Ahern gelang am vergangenen Donnerstag hingegen ein überraschend klarer Sieg bei Wahlen zum 30. Dáil Éireann, dem irischen Parlament: mit 41,6 Prozent kommt die FF – auch dank des komplizierten irischen Wahlrechts – auf 78 von 166 Sitzen. Das sind zwar drei Mandate weniger als 2002, aber immerhin zehn mehr als eine „Regenbogenkoalition“. Dieser Erfolg beschert dem 55jährigen Ahern nun die dritte Amtszeit seit 1997. Selbst die in den vergangenen Wochen hochgekochten Korruptionsvorwürfe konnten seiner Popularität offenbar kaum etwas anhaben. Im Fernsehduell mit seinem siegesgewissen Kontrahenten Kenny konnte Ahern kurz vor der Wahl mit dem „Bertie-Faktor“ überzeugen. Viele Iren wollten anscheinend keine Experimente eingehen, sondern die Bewahrung des Status quo.

National-Konservative suchen Koalitionspartner

In Irland wird Ahern auch „Teflon-Taoiseach“ genannt, weil Kritik selten haften bleibt. Doch es hat sich für ihn ausgezahlt, auch dann die Nerven zu behalten, als angesichts anhaltend schlechter Umfragewerte die irischen Medien im Regierungslager die „Stimmung eines Zahnarzt-Wartezimmers“ wahrnahmen, in dem selbst die eigenen Anhänger deutliche Zweifel am Auftritt des Ministerpräsidenten äußerten.

In dem zuletzt auf einen Persönlichkeitswettbewerb zwischen Ahern und Kenny zugespitzten Wahlkampf traten die Themen Steuern, Kriminalität und Gesundheitsreform zunehmend in den Hintergrund. So hatten auch die kleinen Parteien das Nachsehen. Aherns Koalitionspartner, die marktliberalen Progressive Democrats (PD), wurden in der breiten Unzufriedenheit über das von ihnen geführte Gesundheits- und Justizressort regelrecht abgestraft: sie konnten von einst acht Sitzen mit 2,7 Prozent nur noch zwei halten. Der bisherige Justizminister und Vizepremier Michael McDowell, erst 2006 zum PD-Chef gekürt, gehört auch zu den sechs Verlierern. Er hat daher nun seinen Rückzug aus der Politik angekündigt. Auch der letzte sozialistische Abgeordnete muß nun das Parlament verlassen: der 58jährige Joe Higgins – bekennender Atheist und radikaler Kämpfer für mehr Rechte für Arbeitsmigranten – verlor seinen Wahlkreis in Dublin-West.

Ebenfalls enttäuschend war das Ergebnis für die linksnationale Oppositionspartei Sinn Féin. Entgegen allen Erwartungen konnte die Partei von Gerry Adams mit 6,9 Prozent nur vier ihrer bislang fünf Mandate halten. Vielleicht hat der Partei, die bislang als politischer Arm der nordirischen Untergrundbewegung IRA galt, nichts mehr geschadet als die Entscheidung, sich in der irischen Republik von der Fundamentalopposition zum potentiellen Koalitionspartner zu entwickeln. Auch von den 13 Unabhängigen, die zusammen auf 6,6 Prozent kommen, ziehen nur noch fünf ins Parlament ein.

Bei der Suche nach einem neuen Koalitionspartner hat Premier Ahern nun die freie Wahl. In der politischen Tradition Irlands sind die großen Parteien keineswegs so ideologisch fixiert wie in Deutschland oder Frankreich – sie können daher überaus flexibel agieren. Ahern bevorzugt zwar die Fortsetzung der bisherigen Koalition mit der PD, diesmal unterstützt von einigen unabhängigen Abgeordneten. Doch sollte dies nicht gelingen, dann strebt Ahern ein Bündnis mit den Grünen an. Das wäre besonders pikant, denn im Europaparlament gehört die FF zur Fraktion Union für ein Europa der Nationen (UEN). Der UEN gehören Parteien wie die postfaschistische italienische Alleanza Nazionale, die Dänische Volkspartei oder die drei polnischen Regierungsparteien an – sie werden allesamt von den Europa-Grünen als „Rechte“ verdammt.

In seiner nächsten fünfjährigen Amtsperiode steht Ahern nun vor der gewaltigen Herausforderung, zwischen ungünstigen Rahmenbedingungen und den Ansprüchen einer konsumorientierten Wählerschaft ein Land zu führen, das keineswegs so reich ist, wie es nach außen hin erscheint. Nach Ansicht führender Ökonomen gehen die goldenen Zeiten des „keltischen Tigers“ zu Ende. Der Aufholprozeß ist beendet, die Wachstumsraten fallen auf EU-Niveau.

Weniger Staatseinnahmen, hoher Investitionsbedarf

Die irische Wirtschaft gerät dabei unter zunehmenden Druck und droht im globalen Wettbewerb zurückzufallen. Vor der Wahl erklärte gar der frühere Chefökonom der irischen Zentralbank, Michael Casey, das Land stehe infolge einer Reihe verschlechternder Faktoren wie der hohen Inflation und der nachlassenden Produktivität vor einer „unvermeidbaren Rezession“, auf die die Iren nicht vorbereitet seien.

Hinzu kommen – bei zurückgehenden Staatseinnahmen – die gigantischen Kosten für dringend nötige öffentliche Investitionen: „Ist ein Land reich, wenn man das Wasser nicht trinken kann? Wenn Grundschulen in wachsenden Wohngebieten in einem so erschreckenden Zustand sind, daß wir schon den Ausnahmezustand von sozialen Spannungen zwischen einheimischer und eingewanderter Bevölkerung um knapper werdende Ressourcen sehen? Wenn die Schulklassen die größten in der EU sind und die Vorkehrungen für die Kinderbetreuung zu den schlimmsten zählen?“ klagte anschaulich die Irish Times.

Ein „Weiter So“, wie es die Iren Ahern signalisiert haben, wird künftig unter diesen Umständen kaum zu gewährleisten sein. Casey gab dem Sieger eine Warnung mit auf dem Weg, die da kaum passender sein könnte: „Der Preis, der bei dieser Wahl zu gewinnen ist, könnte gut ein vergifteter Kelch sein.“

Auch mit der Einwanderung hat das einstige Auswandererland zunehmend Probleme. Während die Iren zu fast 90 Prozent katholisch sind, sind es bei den Einwanderern bestenfalls die Hälfte. Allein in den letzten vier Jahren stieg die offizielle Zahl der Muslime von 19.000 auf fast 33.000. Die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) fordert daher schon mehr überkonfessionelle Schulen.

Auch der 2005 gestartete irische „Aktionsplan zum Kampf gegen Rassismus“ reiche nicht aus. Denn „das Strafrecht wurde nicht im Hinblick darauf verändert, ausreichend strenge Bestimmungen zur Bekämpfung von rassistischem Verhalten, insbesondere gegenüber äußerlich erkennbaren Minderheiten und Fahrenden, einzuführen“, monierte die Europaratsinstitution am 24. Mai in ihrer dritten „Monitoring“-Runde.

Schattenseiten des Wirtschaftswunders

© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/07 18. Mai 2007

Schattenseiten des Wirtschaftswunders
Irland: Mitte-Rechts-Koalition von Ahern droht Abwahl / Auftrieb für Bürgerliche und linksnationale Sinn Féin
Daniel Körtel

Seit dem Erwachen des „Keltischen Tigers“ vor 15 Jahren hat Irland eine Zeit beispielloser Veränderungen durchlaufen. Eine geschickte Wirtschaftspolitik verbunden mit den höchsten Pro-Kopf-EU-Transferleistungen haben der einst armen grünen Insel ein Wirtschaftswunder beschert, mit dem die Arbeitslosigkeit von 14 auf vier Prozent gedrückt werden konnte – und das Einwanderer aus aller Herren Länder angelockt hat. Zahlreiche Straßenbauprojekte versuchen die Motorisierungswelle aufzunehmen. Ambitionierte Bauvorhaben werden vor allem in der prosperierenden Hauptstadt Dublin auf den Weg gebracht. Überall im Land machen zahlreiche Neubausiedlungen von Eigenheimen den gestiegenen Wohlstand sichtbar.

Selbstsüchtig, ungeduldig und arrogant geworden

Doch die ökonomische Modernisierung hat auch Schattenseiten: Die zunehmende Spaltung zwischen Arm und Reich, der Zerfall traditioneller Familienstrukturen, wachsende Jugend- und Bandenkriminalität und nicht zuletzt die Zuwanderung sorgen für ein nervöses Unbehagen unter den 4,2 Millionen katholischen Iren. Ihr „altes Irland“ ist durch den Wertewandel abgetreten, ohne daß bislang ein neues an seine Stelle getreten ist. Der Ruf nach einer Wiedererfindung der irischen Nationalidentität, um die entstandene Leerstelle zu füllen, wird lauter.

Doch am schärfsten diagnostizierte der irische Sozialminister Séamus Brennan den mentalen Wandel der Iren, als er seinen Landsleuten im März 2006 bescheinigte, sie seien durch den wirtschaftlichen Aufschwung selbstsüchtig, ungeduldig und arrogant geworden. Er prophezeite, daß künftige Generationen auf sie als ein Volk zurückblicken würden, das einen Zugriff auf den „Heiligen Gral“ von ökonomischem Erfolg, Wohlstand, Vollbeschäftigung und endlosen Möglichkeiten hatte. Sie würden danach beurteilt werden, wie sie diesen wertvollen Besitz genutzt hätten.

Nun kämpft sein Chef Bertie Ahern, der seit 1997 als irischer Ministerpräsident einen Großteil dieses Zeitenwechsels begleitete, bei der für den 24. Mai angesetzten Wahl zum Dáil Éireann (irisches Unterhaus) um eine weitere Amtszeit. Aherns nationalkonservative Fianna Fáil (FF/“Soldaten des Schicksals“) ist mit 79 Sitzen (von 166) stärkste Kraft und eine der am längsten regierenden Parteien in Europa.

In Deutschland würde sie wahrscheinlich – obwohl eigentlich eine katholische Partei der Mitte – unter Beobachtung des Verfassungsschutzes stehen, denn im Europaparlament gehört die FF zur rechten Union für ein Europa der Nationen (UEN) – zusammen mit der postfaschistischen italienischen Alleanza Nazionale (AN), der rechtspopulistischen Dänischen Volkspartei (DF) oder der sozialkonservativen Regierungspartei PiS des polnischen Premiers Jarosław Kaczyński. Hauptgrund ist, daß man nicht mit den britischen Tories zusammensitzen muß. Aherns Koalitionspartner sind seit 1997 die wirtschaftsliberalen Demokraten (PD/An Páirtí Daonlathach, 8 Sitze).

Die stärkste Oppositionspartei ist die bürgerliche Fine Gael (FG/“Familie der Iren“, 32 Sitze), die mit CDU und CSU in der Europäischen Volkspartei (EVP) verbündet ist. Die Sozialdemokraten (PLO/Páirtí an Lucht Oibre, 21 Sitze) sind drittstärkste Partei. Die irischen Grünen erreichten 2002 sechs Sitze, die linksnationalistische Sinn Féin (SF/“Wir selbst“) fünf und die Sozialisten einen Sitz. Hinzu kommen noch 14 unabhängige Abgeordnete.

FF und FG sind die beiden „Volksparteien“ Irlands. Historisch leiten sie sich jeweils aus den Befürwortern und Gegnern des Freistaatsvertrages ab, mit dem Irland 1921 von London in die Unabhängigkeit entlassen wurde. Bei FF versammelten sich die antibritischen Vertragsgegner, bei FG die Kompromiß-Befürworter. In ihren Wahlversprechen sind beide inzwischen kaum zu unterscheiden: Steuersenkungen, mehr Polizisten und Lehrer, verbesserte Krankenhäuser und Hilfen für Eltern, die für ihre Kinder zu Hause bleiben.

Von den FG-Steuervorschlägen kalt erwischt leitete die FF auf dem Parteitag im März eine Kehrtwende ein: Sie beschloß unter anderem die Senkung der Einkommenssteuer und eine Halbierung der Sozialversicherungsbeiträge für den Fall ihrer Wiederwahl. Möglicherweise läuft sie mit diesem Schwenk ins Leere: Der signifikante Rückgang im Immobilienmarkt im ersten Quartal dieses Jahres könnte die Vorwegnahme eines FG-Wahlsieges bedeuten, die in ihrem Wahlprogramm die Reform der Dokumentensteuer verspricht, um gezielt erstmalige Eigenheimbauer- und Käufer zu unterstützen.

Angst vor den Stimmen der Modernisierungsverlierer

Die Stimmung für die Regierung ist schlecht. Steigende Lebenshaltungskosten und abflauendes Wirtschaftswachstum belasten das Verbrauchervertrauen. Zusätzlich muß sich Ahern Korruptionsvorwürfen stellen, die die PD auf Distanz gehen lassen. Meinungsumfragen deuten ein Ende der Ära Ahern an. Die Option FG/PLO hat (eventuell zusammen mit den Grünen) gute Chancen, die nächste Regierung zu stellen.

Im Aufwind scheint auch die SF, die älteste und einzige auf der gesamten Insel vertretene Partei. Unter Führung des populären Gerry Adams hat sie es im Zuge des nordirischen Friedensprozesses mit Erfolg geschafft, sich von ihrer Rolle als politischer Arm der Untergrundorganisation IRA (Irisch-Republikanische Armee) als eigenständige Partei zu emanzipieren. Linkspopulistisch auftretend, hat die SF mit ihren Forderungen nach Kostenfreiheit in Gesundheitsfürsorge und Bildung sowie gezielter Umverteilung durch ein neues Steuersystem gezielt irische Modernisierungsverlierer angesprochen.

Mit ihrer EU-Skepsis und ihrer Ablehnung der indirekten Unterstützung des Irak-Krieges durch die umstrittene Erlaubnis der Regierung an die US-Luftwaffe, ihre Maschinen auf dem Weg in den Irak auf dem Flughafen Shannon (An tSionna) aufzutanken, hält sie konsequent am irischen Neutralitätsgebot fest. Damit erweist sie sich als konservativer als fast jede andere irische Partei, gehört doch dieses in der Verfassung verankerte Gebot zum festen Bestandteil der irischen Identität und des republikanischen Ethos.

In der Frage der Zuwanderung aus fremden Ländern besteht eine tiefe Kluft zwischen den Wählern und der multikulturellen Rhetorik der SF-Parteiführung: So stimmten 2004 in einer Volksabstimmung entgegen dem Parteivotum über die Hälfte der SF-Wähler für eine Verschärfung des bis dahin sehr laxen Staatsbürgerschaftsrechts. Die beiden SF-Europaparlamentarier sitzen übrigens in der Konföderalen Fraktion der Vereinigten Europäischen Linken – zusammen mit der Linkspartei/PDS.

Inzwischen wird sogar darüber spekuliert, daß die SF Ahern Unterstützung anbieten könnte, sollte dessen Wahlergebnis nicht zum Weiterregieren reichen. Ahern hat diese Möglichkeit zwar bislang kategorisch ausgeschlossen, aber besorgte Stimmen fragen schon, ob Irland wirklich bereit sei für eine Regierung, die vom „politischen Paria“ Sinn Féin abhängt. Sie verweisen dabei auch auf eine SF-Kampagne für die Amnestierung jener fünf IRA-Mitglieder in irischen Gefängnissen, die 1996 bei einem auf eigene Rechnung verübten brutalen Banküberfall einen Polizisten ermordet haben.

Stärkung der radikalen Kräfte

© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/07 16. März 2007

Stärkung der radikalen Kräfte
Nordirland: Nach der Wahl ist die Rückkehr zur Autonomie weiter offen / Erosion der Mitte
Daniel Körtel

Triumph für die Ränder, Erosion der Mitte – auf diese einfache Formel läßt sich das Ergebnis der am vorigen Mittwoch abgehaltenen Wahlen zum Stormont, dem nordirischen Regionalparlament, zusammenfassen. Die probritische Democratic Unionist Party (DUP) des 80jährigen Pfarrers Ian Paisley, Oberhaupt der Freien Presbyterianischen Kirche, steigerte sich deutlich auf 30,1 Prozent und wurde somit wieder stärkste politische Kraft Nordirlands (JF 50/03). Auch die irisch-republikanische Sinn Féin konnte ihr Ergebnis im Vergleich zu 2003 verbessern.

Die Partei, die im EU-Parlament zur Fraktion der Vereinigten Europäischen Linken gehört, stellt mit 26,2 Prozent wieder die zweitgrößte Fraktion. Die gemäßigten Kräfte, die probritische Ulster Unionist Party (UUP) und die irisch-katholische Social Democratic and Labour Party (SDLP/PSDLO), mußten massive Verlust hinnehmen: Sie kamen nur noch auf 14,9 bzw. 15,2 Prozent.

Den Wahlen vorausgegangen war eine mehrjährige Phase, in der sich der Friedensprozeß in der nordirischen Unruheprovinz am Rande des Kollapses bewegte. Sie begann im Oktober 2002 mit der „Enthüllung“, die Sinn Féin betreibe im Stormont einen umfangreichen Spionagering für die paramilitärische Irisch-Republikanische Armee (IRA). Der britische Premier Tony Blair suspendierte daraufhin die Autonomieregierung und das Regionalparlament und setzte die Direktherrschaft aus London wieder ein. Doch zwei Jahre später stellte sich heraus, daß ausgerechnet der Kopf des „Spionagerings“, der hochrangige Sinn-Féin-Funktionär Denis Donaldson, seit über 20 Jahren Agent des britischen Geheimdienstes war. „Stormontgate“ fiel damit in sich zusammen, und seither steht der unangenehme Verdacht im Raum, die Krise im nordirischen Friedensprozeß sei vom britischen Geheimdienst herbeimanipuliert worden.

Mehrheit für den reformierten nordirischen Polizeidienst

Seitdem versuchen die britische und irische Regierung, den Friedensprozeß zu neuem Leben zu erwecken (JF 20/06). Im Fokus der Bemühungen stehen der für seinen radikalen Anti-Katholizismus bekannte Ian Paisley und seine DUP. Eine Beteiligung der Sinn Féin an einer von ihm geführten Allparteienregierung kam für Paisley nur in Frage, wenn diese vorbehaltlos die formelle Unterstützung der nordirischen Sicherheitskräfte erklären würde. Das Stöckchen, das Paisley der Sinn Féin zum Drüberspringen hinhielt, war für deren Basis und Anhängerschaft eine herbe Zumutung. Die staatlichen Sicherheitsorgane, allen voran die Polizei, wurden von der katholischen Bevölkerung stets als Bestandteile eines Unterdrückungssystems wahrgenommen. Dementsprechend ist das Mißtrauen enorm.

Daß es auch begründet ist, belegt die in den vergangenen Jahren aufgedeckte „Collusion“, die Verstrickungen staatlicher Stellen mit protestantischen Todesschwadronen. Nuala O’Loan, Ombudsfrau der nordirischen Polizei, legte erst Anfang des Jahres einen Bericht vor, wonach es in den 1990er Jahren geheime Verbindungen zwischen der nordirischen Polizei und protestantischen Paramilitärs gab, denen eine Vielzahl von Morden zur Last gelegt werden. Diese fragwürdige Praxis harrt bis heute einer vollständigen Aufklärung.

Dennoch hat die Sinn Féin Ende Januar auf einem Sonderparteitag mit überwältigender Mehrheit den reformierten nordirischen Polizeidienst anerkannt und ihm ihre Unterstützung ausgesprochen. Diesen als historisch eingestuften Schritt mochten jedoch nicht alle mitgehen. Wenige Tage vor der Wahl unterzeichneten bis zu 400 frühere IRA-Häftlinge einen offenen Brief, worin sie der Sinn Féin-Führung die totale Kapitulation vorwarfen und republikanische Wähler dazu aufriefen, gegen Sinn Féin zu stimmen.

Auf protestantischer Seite wiederum ist kaum vorstellbar, daß Paisley als Regierungschef mit dem von der Sinn Féin nominierten Martin McGuinness ein früheres Führungsmitglied der IRA an die Seite gestellt bekommt. Auch bereitet dort die für Ende 2007 geplante Übertragung der Verantwortung über die Sicherheitskräfte an die Autonomieregierung Unbehagen, weil damit ausgerechnet der IRA und ihren Unterstützern Kontrolle und Einfluß in einem für die Protestanten sensiblen Bereich eingeräumt würde. Ebenso werden Zweifel an der Aufrichtigkeit des Bekenntnisses zur Polizei geäußert, da die Sinn-Féin-Abgeordnete Michelle Gildernew offen sagte, sie werde es der Polizei nicht melden, wenn sie paramilitärische Aktivitäten republikanischer Dissidenten beobachten würde.

Der britische Nordirlandminister Peter Hain deutete das Wahlergebnis als Auftrag der Wählerschaft an die beiden größten Parteien, durch den Eintritt in eine Allparteienregierung den Friedensprozeß fortzusetzen. Eine Zurückweisung dieser Botschaft wäre eine „gewaltige Tragödie“. Paisley hat sich bislang in seiner typisch kryptischen Art nicht eindeutig geäußert, wie er nun reagieren will. Doch deutet eine Reihe von Anzeichen darauf hin, daß er letztlich doch einlenken wird.

Kein protestantischer Staat für ein protestantisches Volk

Die britische und irische Regierung haben bereits deutlich gemacht, daß für sie das Ende der Fahnenstange erreicht sei. Sollten sich die Parteien nicht bis zum 26. März auf die Bedingungen geeinigt haben, unter denen die Autonomieregierung wiederhergestellt werden könne, wird das neugewählte Parlament definitiv aufgelöst und Nordirland weiterhin von London aus direkt regiert, allerdings mit einer erweiterten Rolle für Dublin.

Doch unabhängig davon, wie und von wem die britische Provinz künftig regiert wird, sind die Zeiten Nordirlands als „protestantischer Staat für ein protestantisches Volk“, als der es 1921 mit der Teilung Irlands gegründet wurde, endgültig vorbei. Nicht nur die Zuwanderung, auch der demographische Wandel zugunsten der katholischen Noch-Minderheit schaffen harte Fakten, die diesen Anspruch kaum mehr aufrechterhalten lassen.

Der rabiate Prediger

© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/06 24. November 2006

Ian Paisley
Der rabiate Prediger
von Daniel Körtel

Seit mehr als fünf Jahrzehnten prägt der achtzigjährige Protestanten-Prediger, Ian Paisley, die politische Szenerie Nordirlands, der nun drauf und dran ist, im nächsten Jahr – vier Jahre nach Auseinanderbrechen der alten – die neue Regionalregierung der Provinz Ulster zu führen. Dabei machte ihn sein unversöhnlicher Anti-Katholizismus im gewaltträchtigen Nordirland-Konflikt zur Verkörperung des bigotten Sektierertums und verhärtete damit massiv die Fronten. 1951 gründete er die fundamentalistische Sekte der Freien Presbyterianer, 1971 die Democratic Unionist Party (DUP), mit der er in die Politik einstieg.

Erfolgreich vereitelte Paisley durch Massenmobilisierungen sämtliche Versuche einer institutionellen Machtbeteiligung der katholischen Minderheit. Doch schien 1998 mit der Verabschiedung des Karfreitagabkommens seine Macht erschöpft. Aber in den nachfolgenden Jahren vermochte er das Mißtrauen der Protestanten gegenüber einem Friedensprozeß, der ständig zwischen Kollaps und „kaltem Frieden“ pendelte, aufzunehmen und rhetorisch geschickt so auszunutzen, daß seine DUP in den Wahlen von 2003 erstmals zur stärksten politischen Kraft Nordirlands insgesamt aufsteigen konnte. Dabei ist seine Person unter den Protestanten keineswegs unumstritten. Nur die wenigsten seiner Wähler gehören seiner Sekte an, und die DUP verfügt über einen starken säkularen Flügel.

Es kommt fast einem Wunder gleich, daß er den Vorschlägen aus den laufenden Verhandlungen für die Wiedereinrichtung der suspendierten nordirischen Autonomieregierung, die Mitte Oktober im schottischen St. Andrews vorgestellt wurden, bedingt zustimmte. Paisleys Parteibasis bekundet offen Skepsis, doch er warnt, daß ein Scheitern zu einem größeren Mitspracherecht der irischen Regierung in nordirische Angelegenheiten führen würde. Größter Streitpunkt ist die aus seiner Sicht unzureichende formelle Unterstützung der nordirischen Sicherheitsorgane durch die irisch-republikanische Sinn Fein.

Paisley hält jetzt die Schlüssel für ein neues Friedensabkommen in der Hand und sorgt dabei für Überraschungen: Er, der 1988 Papst Johannes Paul II. im Europaparlament zurief, er sei „der Antichrist“, traf sich im Oktober erstmals mit dem Erzbischof der irisch-katholischen Kirche zu einem Gespräch. Inzwischen hat London das Ultimatum für eine endgültige Übereinkunft bis 24. November aufgehoben und als Zugeständnis für die DUP für den 7. März kommenden Jahres Neuwahlen zum nordirischen Regionalparlament anberaumt. Die DUP hatte immer zugesichert, jeden bedeutenden Schritt vom Wähler bestätigen zu lassen. Sollte sie erwartungsgemäß ihre Position behaupten können, wäre für Paisley mit der Wiederherstellung der Autonomie im März 2007 das höchste Amt des Ersten Ministers der nordirischen Allparteienregierung in greifbare Nähe gerückt. Das wäre der bizarre Höhepunkt im politischen Leben des rabiaten Protestanten, der einmal schwor, seine Überzeugungen mit in sein Grab zu nehmen.

Vom Aus- zum Einwanderungsland

© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/06 02. Juni 2006

Vom Aus- zum Einwanderungsland
Irland: Die große Anzahl osteuropäischer Arbeitsmigranten sorgt beim „keltischen Tiger“ für Unruhe
Daniel Körtel

Einwanderung ist für Irland ein relativ neues und ungewohntes Phänomen. In früheren Jahrzehnten waren es nur vereinzelte modernitätsmüde Aussteiger, die sich aus romantischen Erwägungen in der „Dritten Welt Westeuropas“ niederließen. Doch mit Irlands ökonomischem Aufstieg zum „keltischen Tiger“ gewann die grüne Insel in den letzten Jahren neue Anziehungskraft nicht nur für Firmen als Ansiedlungsstandort, sondern auch für Arbeitnehmer.

Die Entwicklung hat bereits zu ersten Konflikten geführt

Mit dem EU-Beitritt von zehn meist ärmeren Staaten zum 1. Mai 2004 hat diese Entwicklung eine zusätzliche Dynamik erhalten, da Irland neben Schweden und Großbritannien als einziges EU-Land diesen Beitrittsländern volle Arbeitnehmerfreizügigkeit gewährt. Doch unter dieser über die Iren hereinbrechenden Einwanderungswelle beginnt sich die Mentalität der gastfreundlichen „Paddys“ spürbar zu wandeln.

Gemäß im Mai veröffentlichten Statistiken des Department of Social and Family Affairs arbeiten in Irland derzeit mehr als 200.000 registrierte Wanderarbeitnehmer aus den neuen Mitgliedsstaaten, die vor allem im Niedriglohnsektor wie dem Baugewerbe, Nahrungsversorgung und der Lebensmittelproduktion beschäftigt sind. Mit über 100.000 kommt der größte Teil von ihnen aus Polen, gefolgt von Litauen, Lettland und der Slowakei. Während im Jahr 2004 durchschnittlich rund 7.000 Neuankömmlinge monatlich gezählt wurden, waren es im vergangenen Jahr bereits 9.400.

Doch in diesem Jahr stieg diese Zahl auf über 10.000. Nicht erfaßt werden die Abgänge und die Zahl der miteinreisenden Familienmitglieder. Schätzungen von Migrantenorganisationen geben an, daß die Wanderarbeiter durchschnittlich zwölf bis 18 Monate im Land bleiben. Deren tatsächliche Anzahl dürfte nach Expertenmeinung allerdings um ein Drittel über den offiziellen Zahlen liegt, welches vermutlich illegal unterhalb des gesetzlichen Mindestlohns von 7,65 Euro pro Stunde arbeitet.

Diese Entwicklung hat bereits zu ersten Konflikten geführt. Die Absicht der Fährgesellschaft Irish Ferries, mehr als 500 irische Mitarbeiter durch billigere Arbeitskräfte aus Osteuropa zu ersetzen, hat zu massiven Protesten geführt. 100.000 Iren demonstrierten im Dezember in Dublin, um ihre Solidarität mit den Fährbediensteten zu bekunden.

Unter dem Druck der osteuropäischen Konkurrenz drohen vor allem junge, gering qualifizierte Iren unter die Räder zu geraten, die mit den besser ausgebildeten und flexibleren Osteuropäern nicht mithalten können. Die Folge ist trotz steigender Beschäftigtenzahlen und eines prächtig gedeihenden Arbeitsmarktes für Migranten eine zunehmende, sich verfestigende Jugendarbeitslosigkeit. In dieser Schicht macht sich der Eindruck breit, Arbeitgeber bevorzugten eher Migranten als Einheimische, die sich gar nicht mehr zu bewerben brauchten.

Die „polnische Herausforderung“

Das Unbehagen vieler Iren über den Zustrom aus den neuen Mitgliedsstaaten brachte im Januar eine für die Irish Times durchgeführte Umfrage zum Ausdruck. Zwar sahen die meisten Befragten die Anwesenheit der Zuwanderer aus Osteuropa als nützlich für die irische Wirtschaft und Gesellschaft an. Doch eine überwältigende Mehrheit von 78 Prozent, die sich durch fast alle Altersgruppen und sozialen Schichten zieht, befürwortete eine zwingende Arbeitserlaubnis für diese Gruppe vor ihrer Ankunft auf der Insel. Viele haben den Eindruck, daß durch die neue Konkurrenz die Löhne und Arbeitsbedingungen unter Druck geraten. Eine breite Mehrheit ist ebenso der Ansicht, es seien bereits genug oder sogar zu viele Arbeitsmigranten im Land.

Diese Ansichten stehen im Gegensatz zu der Auffassung der sehr EU-freundlichen Regierung, daß Irland in den nächsten 12 Jahren weitere 600.000 Zuwanderer benötige, um das Wirtschaftswachstum halten zu können. Dennoch hat die Regierung unter dem neuen Druck der Öffentlichkeit die Entscheidung darüber verschoben, ob sie den neuen EU-Beitrittskandidaten Rumänien und Bulgarien die gleichen Rechte wie den Beitrittsstaaten von 2004 einräumt.

In der regierungsamtlichen Euphorie sehen sich viele Iren mit ihren Ängsten kaum mehr wahrgenommen. So bleibt auch weiterhin die Frage unbeantwortet, wie sich das Verhältnis zwischen Einheimischen und Zuwanderern gestaltet, wenn das sich vor allem aus EU-Kassen speisende Wirtschaftswachstum entgegen den Erwartungen doch an Kraft verliert. Politiker, die diese „irrationalen“ Ängste offen aufgreifen, bekommen sofort Druck zu spüren.

Pat Rabbitte, der Vorsitzende der oppositionellen Labour Party, sah in einem im Januar in der Irish Times veröffentlichten Interview eine fortwährende Ersetzung irischer Beschäftigter durch Migranten in Fleischfabriken, Krankenhäusern und Bauindustrie und forderte ein strenges Kontroll-Regime aus Arbeitserlaubnissen, ausdrücklich auch für Arbeiter aus den neuen EU-Staaten. Kritiker erhoben Vorwürfe gegen Rabbitte, er bediene Vorurteile und entwerfe das Gespenst einer „polnischen Herausforderung“.

Das moderne Irland als neues Einwanderungsland entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Über Generationen hinweg war die Insel ein klassisches Auswanderungsland, dessen bittere Armut viele Iren ihrerseits zwang, sich in anderen Teilen der Welt eine neue Existenz aufzubauen.

Hunger-Denkmal in Dublin: Zu viele Arbeitsmigranten im Land /
© Daniel Körtel

Steiniger Weg zum Frieden

© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 20/06 12. Mai 2006

Steiniger Weg zum Frieden
Nordirland: Trotz Stagnation im Friedensprozeß kehrt in der britischen Unruheprovinz allmählich Normalität ein
Daniel Körtel

Es ist Dienstagnachmittag nach Ostern. Mehr als 300 katholische Bewohner des im Norden von Belfast gelegenen Stadtteils Ardoyne versammeln sich vor einem Garden of Remembrance, einer Gedenkstätte für diejenigen, die als Kämpfer der katholischen Untergrundorganisation IRA (Irisch-Republikanische Armee) den Tod fanden oder als Zivilisten infolge von Kampfhandlungen starben. Der mehrheitlich von Katholiken bewohnte Stadtteil zählt zu den Brennpunkten im nordirischen Konflikt zwischen irisch-republikanischen Katholiken und pro-britischen Protestanten, die sich selbst als Unionisten beziehungsweise Loyalisten bezeichnen.

Der Platz vor der Gedenkstätte füllt sich mit Menschen jeden Alters. Kleinkinder haben mit orange-weiß-grünen Bändern, den Farben der irischen Trikolore, ihre Haare zum Zopf gebunden. Fast jeder Erwachsene hat sich ein papiernes Emblem in Form einer Osterlilie, Symbol der Freiheit Irlands, angeheftet. Auch IRA-Mitglieder sind anwesend. Zwei Eiswagen flankieren die Menge.

Melancholische Melodien und andächtiges Schweigen

Nicht weit vom Platz entfernt befindet sich in einer protestantischen Enklave am Ende der Ardoyne Road die katholische Mädchen-Grundschule Holy Cross. Hier eskalierte 2001 die Gewalt, als die Bewohner dieser Enklave katholische Erstkläßlerinnen mit Gewalt am Schulbesuch hindern wollten.

Dann ertönt von weitem eine Pauke. Vom unteren Ende der Straße sieht man einen Paradezug heranmarschieren, bestehend aus Fahnen haltenden jungen Männern und Frauen in militärischen Uniformen und Kampfanzügen sowie einem Spielmannszug mit Trommeln und Dudelsäcken. Zivil gekleidete Teilnehmer tragen Porträts von im Nordirlandkonflikt getöteten Angehörigen vor sich her.

Der Zug nimmt in und vor der Gedenkstätte Aufstellung. Nacheinander werden die republikanische Proklamation vom Osteraufstand 1916, der zur irischen Unabhängigkeit führte (JF 17/06), und die alljährliche Osterbotschaft der IRA verlesen.

Beim Verlesen der Namen der im Konflikt getöteten Bewohner von Ardoyne verharrt die Menge in andächtigem Schweigen, ein Flötenspieler untermalt die Szenerie mit einer melancholischen Melodie. Leichter Nieselregen fällt herab, als wolle der Himmel an der Trauer teilhaben. Hiernach werden Kränze in den Farben der irischen Trikolore niedergelegt. Eine Abordnung von Kindern, ordentlich in schwarzen Hosen und weißen Shirts gekleidet, legt jeweils eine Osterlilie nieder. Auch sie haben Angehörige zu beklagen, die in dem Konflikt starben.

Der katholische Geistliche Aidan Troy, der bei der Konfrontation um die Holy Cross-Schule in vorderster Linie stand, spricht ein Gebet. Die Schlußrede von Arthur Morgan, Abgeordneter des irischen Parlaments, ist eine selbstbewußte Demonstration der Macht seiner Partei, der linksnationalistischen Sinn Fein, die nicht nur stärkste Kraft im irisch-nationalistischen Lager Nordirlands ist, sondern auch in der irischen Republik an Bedeutung gewonnen hat.

Ein Ordner erklärt, es sei derzeit recht ruhig in Ardoyne. „Aber warten wir ab bis zum ‚Zwölften'“, fügt er hinzu. „Der Zwölfte“, das ist im nordirischen Sprachcode die Bezeichnung für den 12. Juli, wenn die jährliche Fieberkurve der Provinz am höchsten steigt. An diesem Tag feiern die Protestanten mit ihren Paraden die Schlacht an der Boyne, die 1690 den Briten die Vorherrschaft über Irland sicherte.

Die „Peacelines“ werden noch lange bestehen

Die Osterzeit markiert in Nordirland den Beginn der bis September verlaufenden Marschsaison, wenn Katholiken und Protestanten ihre Paraden zelebrieren. Sie bieten trotz des 1998 abgeschlossenen Karfreitagabkommens, das die dreißigjährige Phase der Troubles mit über 3.600 Toten beendete und den Friedensprozeß in der auch unter ihrem alten Namen Ulster bekannten britischen Unruheprovinz einleitete, immer wieder Anlaß zu Ausschreitungen.

In diesem Jahr fallen in der republikanischen Gedenkkultur zwei bedeutende Jubiläen zusammen. Die irischen Katholiken begehen neben der 90. Wiederkehr des Osteraufstandes auch den 25jährigen Jahrestag des Hungerstreiks von 1981, mit dem IRA-Mitglieder im Belfaster Maze-Gefängnis ihre Anerkennung als Kriegsgefangene zu erzwingen suchten. Der letztlich erfolglose Hungerstreik kostete zehn von ihnen das Leben.

Überlebensgroß ziert das Porträt des ersten von ihnen, des wie ein Märtyrer verehrten Bobby Sands, die Giebelwand des Sinn-Fein-Hauptquartiers in Belfast. Politische Wandgemälde dieser Art sind auf beiden Seiten weitverbreitet. Kunst oder Propaganda – der Charakter dieser Wandmalereien ist umstritten.

Sands‘ Hungertod polarisierte das Land völlig. Während fast hunderttausend Menschen seiner Beisetzung beiwohnten, bestand die damalige britische Regierungschefin Margaret Thatcher darauf, daß Bobby Sands ein verurteilter Krimineller gewesen sei, „der sich aus freien Stücken dazu entschied, aus dem Leben zu scheiden, und damit eine Wahl traf, die die IRA vielen ihrer Opfer nicht zugestand“. Der katholische Kardinal Tomás Ó Fiaich, der keinerlei Sympathien für die IRA hegte, hielt dem entgegen: „Ich kann Bobby Sands‘ Tod nicht als einen Selbstmord beschreiben. Ich kann das nicht akzeptieren.“

Südlich von Ardoyne schließt das Arbeiterviertel Shankill an, das Herz des loyalistischen Protestantismus. Die Menschen hier erkennen zwar an, daß der Friedensprozeß „einen hervorragenden Job geleistet“ hat, aber ihr Mißtrauen gegenüber der IRA ist groß. Die Räumung des benachbarten Beobachtungspostens im Hochhaus Divis Flats an der katholischen Falls Road innerhalb von zwei Tagen, nachdem die IRA im Juli vergangenen Jahres das Ende des bewaffneten Kampfes und die vollständige Demobilisierung ihres Waffenarsenals verkündete, stieß bei ihnen auf Kritik. „Das sind nur Worte, wir wollen Beweise!“ hieß es von den so überrumpelten Protestanten.

Unter den Protestanten ist die Angst groß, daß der Friedensprozeß, unterstützt von einer demographischen Verschiebung zugunsten der irischen Katholiken, zu einer Änderung des Status von Nordirland führen könne und damit die Zeit Nordirlands als „protestantischer Staat für ein protestantisches Volk“ endgültig vorüber sein wird. Aber eine Vereinigung mit der irischen Republik wird kategorisch abgelehnt. „Ulster will always remain British – Ulster wird auf immer britisch bleiben“, verkündet trotzig ein Wandgemälde an der Shankill Road.

Dieses Stimmungsbild sei, so wird immer wieder versichert, auch in den Gebieten anzutreffen, wo Katholiken und Protestanten gemischt friedlich miteinander leben. Jeder Versuch einer Änderung könne die Gefahr des sofortigen Aufflammens der Gewalt heraufbeschwören.

Dennoch stellt sich die Situation in Nordirland acht Jahre nach Verabschiedung des Karfreitagabkommens als außerordentlich ruhig und entspannt dar. Zwar kommt es nach wie vor zu als sectarian attacks bezeichneten politisch-religiös motivierten Gewalttaten zwischen den Konfessionen.

Auch wird in Belfast den dreizehn sogenannten peacelines – Mauern, die vor allem im Westen der Stadt zwischen den Wohngebieten von Katholiken und Protestanten verlaufen – eine lange Zukunft beschieden. Doch im Vergleich zu den vergangenen Jahren, als sich die Waffenruhe sehr fragil zeigte, ist der Gewaltpegel spürbar gesunken und ein Wandel zu mehr Normalität unübersehbar.

Stagnation im politischen Sektor

Das deutlichste Anzeichen hierfür ist neben der steigenden Zahl von Touristen die stetig zunehmende Einwanderung vor allem aus dem asiatischen und osteuropäischen Raum. Letztere Entwicklung rief dann wiederum loyalistische Paramilitärs auf den Plan, die diese Einwanderer aus ihren Gebieten oftmals zu vertreiben versuchen. Neben den sectarian attacks ist mit „Haßverbrechen“ gegen Einwanderer und auch Homosexuelle eine neuerliche Form politisch-religiös motivierter Gewalt aufgekommen.

Der entspannteren Situation im Alltag steht die Stagnation im politischen Prozeß gegenüber. Nachdem unhaltbare Vorwürfe erhoben wurden, die IRA betreibe im Parlament einen Spionagering, wurden das Regionalparlament und die von einer Mehrparteienregierung getragene Autonomieregierung im Oktober 2002 suspendiert. Aus den im November 2003 abgehaltenen Wahlen ging die DUP (Democratic Unionist Party) des extrem anti-katholischen Pfarrers Ian Paisley, der das Karfreitagsabkommen wiederholt als „tot“ bezeichnete, als stärkste Kraft im protestantischen Lager und als stärkste Partei Nordirlands überhaupt hervor.

Eine nach wie vor gespaltene Gesellschaft

Vor diesem Hintergrund versuchen der britische Regierungschef Tony Blair und sein irischer Amtskollege Bertie Ahern mit einer neuen Initiative dem Friedensprozeß neuen Schub zu verleihen. Sie haben dem für den 15. Mai neu einberufenen Regionalparlament eine „letzte Frist“ bis spätestens November gesetzt, um eine neue Regierung zu bilden. Sollte bis dahin keine Übereinkunft erzielt worden sein, wird Nordirland künftig gemeinsam von London und Dublin regiert.

Zu den intellektuellsten Köpfen der republikanischen Bewegung gehört zweifellos Danny Morrison. Der heute 53jährige erlangte während der Troubles Bekanntheit, als er 1981 als Pressechef der Sinn Fein die inzwischen legendäre Losung ausgab, „den Krieg mit dem Stimmzettel in der einen Hand und der Armalite (automatisches Gewehr) in der anderen“ gewinnen zu wollen.

Im Sinne dieser Strategie nahm die Sinn Fein fortan zwar an Wahlen teil, nahm aber lediglich ihre Sitze in den kommunalen Vertretungen ein. Was damals Empörung auslöste, stellte sich im nachhinein als die stückweise Abkehr von einem als aussichtslos erkannten bewaffneten Kampf dar.

Nachdem Morrison wegen IRA-Aktivitäten zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt wurde, arbeitet er seit seiner Freilassung 1995 als Schriftsteller und Journalist. Im Gespräch mit der JUNGE FREIHEIT in seinem Haus in West-Belfast erklärt er, eine Änderung des Status von Nordirland mache derzeit keinen Sinn. Die Republikaner müßten Kompromisse eingehen. „Warum“, fragt Morrison, „können nicht auch andere Formen einer Vereinigung mit Irland diskutiert werden, zum Beispiel eine Föderation oder Konföderation?“

Den größten Erfolg des Friedensprozesses sieht Morrison in der Tatsache, „daß die Zeiten vorbei sind, daß Menschen wie ich in ihrem eigenen Land als Menschen zweiter Klasse behandelt wurden“. Das Karfreitagabkommen sieht Morrison keineswegs als tot an, und er glaube auch nicht, daß Paisley so denkt. „Paisley ist ein Feigling“, der die jüngste Initiative zur Wiederaufnahme des Friedensprozesses nicht scheitern lassen werde, da ihm sonst die Schuld zugeschoben werde.

In den kommenden Verhandlungen müsse Sinn Fein aber „sehr, sehr vorsichtig“ mit der britischen und irischen Regierung sein, damit das Abkommen nicht geändert wird, um es der DUP leichter zu machen. Man sei bereit, Paisleys Stellvertreter Peter Robinson als künftigen Regierungschef zu akzeptieren, aber auf keinen Fall den wegen seiner „Bigotterie“ bei den irischen Nationalisten verhaßten Paisley.

Über das künftige Verhältnis der Republikaner zu den Unionisten meint Danny Morrison: „Es ist in unserem Interesse, Freundschaft mit den Unionisten zu halten, um ihnen einen Platz im vereinigten Irland zu geben.“ Denn, so Morrison: „Die Unionisten sind Iren!“ Doch so aufrichtig Morrisons Angebot auch sein mag, steht angesichts der gegenseitigen blutigen Gewalterfahrung der vergangenen Jahrzehnte kaum zu erwarten, daß es eine andere Erwiderung erfährt als die schroffe Ablehnung. Auch kommt für die Unionisten eine Aufgabe ihrer britischen Identität zugunsten der irischen kaum in Frage.

Nordirlands Zukunft ist offen. Es bleibt abzuwarten, ob sich das Land zu einer zwar friedlichen, aber entlang der konfessionellen Grenzen nach wie vor gespaltenen Gesellschaft hinbewegt, oder ob es den Politikern gelingt, die Nordiren davon zu überzeugen, daß die beste Zukunft der Provinz nur eine gemeinsame sein kann.

Auf diese Zukunft angesprochen, meint ein älterer Taxifahrer aus Shankill, der den Nordirland-Touristen historische Stadtrundfahrten durch Belfast anbietet: „An dem Tag, an dem alle diese Wandmalereien und peacelines verschwunden sind, werden alle Nordiren fröhlich im Pub sitzen. Aber ich erwarte nicht, daß dieser Tag noch zu meinen Lebzeiten kommt.“

Stichwort: Karfreitagsabkommen

Das Good Friday Agreement – auch als Belfast oder Stormont Agreement bekannt – wurde am 10. April (Karfreitag) 1998 von den Regierungen Großbritanniens und Irlands sowie der überwältigenden Mehrheit der nordirischen Parteien unterzeichnet. In getrennten Volksabstimmungen wurde es in der Republik Irland sowie Nordirland ratifiziert. Bestandteile des Abkommens: Streichung des Anspruchs auf die sechs nord-irischen Grafschaften aus der Verfassung der Republik Irland; Selbstverwaltung Nordirlands durch ein eigenes Parlament; Schaffung grenzüberschreitender Institutionen; Entwaffnung der paramilitärischen Organisationen sowie die Umgestaltung der nordirischen Polizei.

« Ältere Beiträge Neuere Beiträge »

© 2024 Peacelines.de

Theme von Anders NorénHoch ↑