© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/06 24. November 2006
Ian Paisley
Der rabiate Prediger
von Daniel Körtel
Seit mehr als fünf Jahrzehnten prägt der achtzigjährige Protestanten-Prediger, Ian Paisley, die politische Szenerie Nordirlands, der nun drauf und dran ist, im nächsten Jahr – vier Jahre nach Auseinanderbrechen der alten – die neue Regionalregierung der Provinz Ulster zu führen. Dabei machte ihn sein unversöhnlicher Anti-Katholizismus im gewaltträchtigen Nordirland-Konflikt zur Verkörperung des bigotten Sektierertums und verhärtete damit massiv die Fronten. 1951 gründete er die fundamentalistische Sekte der Freien Presbyterianer, 1971 die Democratic Unionist Party (DUP), mit der er in die Politik einstieg.
Erfolgreich vereitelte Paisley durch Massenmobilisierungen sämtliche Versuche einer institutionellen Machtbeteiligung der katholischen Minderheit. Doch schien 1998 mit der Verabschiedung des Karfreitagabkommens seine Macht erschöpft. Aber in den nachfolgenden Jahren vermochte er das Mißtrauen der Protestanten gegenüber einem Friedensprozeß, der ständig zwischen Kollaps und „kaltem Frieden“ pendelte, aufzunehmen und rhetorisch geschickt so auszunutzen, daß seine DUP in den Wahlen von 2003 erstmals zur stärksten politischen Kraft Nordirlands insgesamt aufsteigen konnte. Dabei ist seine Person unter den Protestanten keineswegs unumstritten. Nur die wenigsten seiner Wähler gehören seiner Sekte an, und die DUP verfügt über einen starken säkularen Flügel.
Es kommt fast einem Wunder gleich, daß er den Vorschlägen aus den laufenden Verhandlungen für die Wiedereinrichtung der suspendierten nordirischen Autonomieregierung, die Mitte Oktober im schottischen St. Andrews vorgestellt wurden, bedingt zustimmte. Paisleys Parteibasis bekundet offen Skepsis, doch er warnt, daß ein Scheitern zu einem größeren Mitspracherecht der irischen Regierung in nordirische Angelegenheiten führen würde. Größter Streitpunkt ist die aus seiner Sicht unzureichende formelle Unterstützung der nordirischen Sicherheitsorgane durch die irisch-republikanische Sinn Fein.
Paisley hält jetzt die Schlüssel für ein neues Friedensabkommen in der Hand und sorgt dabei für Überraschungen: Er, der 1988 Papst Johannes Paul II. im Europaparlament zurief, er sei „der Antichrist“, traf sich im Oktober erstmals mit dem Erzbischof der irisch-katholischen Kirche zu einem Gespräch. Inzwischen hat London das Ultimatum für eine endgültige Übereinkunft bis 24. November aufgehoben und als Zugeständnis für die DUP für den 7. März kommenden Jahres Neuwahlen zum nordirischen Regionalparlament anberaumt. Die DUP hatte immer zugesichert, jeden bedeutenden Schritt vom Wähler bestätigen zu lassen. Sollte sie erwartungsgemäß ihre Position behaupten können, wäre für Paisley mit der Wiederherstellung der Autonomie im März 2007 das höchste Amt des Ersten Ministers der nordirischen Allparteienregierung in greifbare Nähe gerückt. Das wäre der bizarre Höhepunkt im politischen Leben des rabiaten Protestanten, der einmal schwor, seine Überzeugungen mit in sein Grab zu nehmen.