© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 20/08 09. Mai 2008
Das Ende einer politischen Ära
Irland: Knappes Rennen um Zustimmung zum EU-Reformvertrag / Premier Ahern verliert wegen Korruptionsvorwürfen Amt an Cowen
Daniel Körtel
Schlechte Nachrichten für die Anhänger des EU-Reformvertrags brachte eine aktuelle Meinungsumfrage in Irland. Der bislang deutliche Vorsprung des „Yes“-Lagers schmilzt: Nur noch 34 Prozent der irischen Wähler wollen in dem für den 12. Juni angesetzten Referendum dem Lissaboner Vertragswerk ihre Zustimmung geben, während das „No“-Lager mit 31 Prozent aufschließt. 34 Prozent sind noch unentschiedenen. Eine andere Umfrage ergab, daß 80 Prozent den wegen seiner „byzantinischen Komplexität“ kritisierten Vertragstext nicht verstehen.
Diese für die irische Regierung pessimistischen Zahlen fallen in eine Zeit der politischen Zäsur für Irland. Nach elf Jahren als Premier und 14 Jahren als Chef der nationalkonservativen Partei Fianna Fáil („Soldaten des Schicksals“) übergab Bertie Ahern am Dienstag beide Ämter an Finanzminister Brian Cowen. Vorausgegangen war eine jahrelange Untersuchung eines außerparlamentarischen Tribunals zur Klärung privater Geldspenden aus Geschäftskreisen an Ahern, die sich auf 850.000 Euro summierten.
„Ich habe niemals ein Bestechungsgeld angenommen“, beteuerte Ahern, „ich habe nichts Unrechtes getan und niemandem Unrecht zugefügt.“ Obwohl er sich mit plausiblen Erklärungen für die Zahlungen oftmals bis zur Peinlichkeit schwertat, konnte ihm bislang kein schwerwiegendes Fehlverhalten nachgewiesen werden. Doch der quälende Verlauf des nicht enden wollenden Tribunals lähmte zusammen mit dem Sperrfeuer von Medien und Opposition die Regierungsarbeit.
„Ich unterwerfe mich dem Urteil der Geschichte“, schloß Ahern seine Rücktrittserklärung, mit der er im April eine Ära beendete, in der er dem auf seine Traditionen bestehenden „Alten Irland“ den Stempel der Moderne aufdrückte. Er war maßgeblich beteiligt am Wirtschaftswunder, welches das einst bitterarme Land zum „Keltischen Tiger“ emporsteigen ließ. Auch gehört er zu den wichtigsten Architekten des nordirischen Friedensprozesses. Damit einhergehend bewirkte er eine Normalisierung in den Beziehungen zu Großbritannien, dem früheren Kolonialherren. Sein geschicktes Spiel mit der nationalen Karte zeigte er 2006, als er nach jahrzehntelanger Unterbrechung wieder Militärparaden zum Gedenken an den Osteraufstand von 1916 initiierte (JF 17/06).
Als erster geschiedener Ministerpräsident Irlands verkörpert er in seiner Lebensführung den drastischen Wertewandel in dem einst streng katholischen Land, wo Ehescheidungen erst seit 1995 gesetzlich erlaubt sind. Dazu paßt auch das Koalitionsexperiment, das Ahern mit seiner Fianna Fáil zusammen mit den liberalen Progressive Democrats und den Grünen eingegangen ist. Auf der Agenda dieser Jamaika-Koalition steht auch die Schaffung eines Rechtsinstituts für homosexuelle Partnerschaften. Ein Gesetzesentwurf ist bereits in Arbeit.
Inwieweit das Tribunal, dessen Arbeit trotz des Rücktritts weiterläuft, Aherns Bild noch trüben wird, bleibt offen. Hier wäre er in bester Gesellschaft mit Amtsvorgängern wie seinem politischen Ziehvater Charles Haughey (1925-2006), dessen Finanzskandale ebenfalls Gegenstand eines Tribunals wurden. Ein halbes Jahr nach dessen Tod schloß dieses mit der Feststellung ab, daß Haughey in seiner Amtszeit umgerechnet über elf Millionen Euro an Bestechungsgeldern kassierte. Im Abschlußbericht wurde die sorglose Art kritisiert, mit der seinerzeit Ahern als Schatzmeister der Partei seinem Chef Blankoschecks in außergewöhnlicher Höhe ausstellte, die dieser wiederum für private Zwecke mißbrauchte. Auch wenn derartige Tribunale in westlichen Staaten keine ungewöhnlichen Erscheinungen sind, offenbart sich darin eines der grundlegenden Probleme, an denen die irische Republik krankt. Kevin Myers, rechtsliberaler Kolumnist des Independent, geht hier mit seiner Heimat hart ins Gericht: „Dies ist eine unehrliche, korrupte Gesellschaft … Unehrlichkeit – der dünne Riß im Fels, der einen Berg der Integrität auf eine sündenvolle Ebene reduziert – ist eine irische Kultur-Norm.“
Der 48jährige Cowen stand seit längerem als Aherns Wunschnachfolger fest. Er hatte schon verschiedene Ministerposten inne und erwarb sich seine Reputation als Wirtschaftsfachmann. Während Ahern auf eine glänzende Regierungsbilanz verweisen kann und sich im nord-irischen Friedensprozeß profilierte, erbt Cowen als ungelöste Baustellen den ineffizienten öffentlichen Dienst und das desolate Gesundheitssystem, für deren Reform künftig weniger Mittel zur Verfügung stehen werden. Denn der „Keltische Tiger“ zeigt Ermüdungserscheinungen: Das Wirtschaftswachstum wird dieses Jahr infolge des einbrechenden Baumarktes voraussichtlich auf die niedrigste Rate seit 20 Jahren sinken. Die Arbeitslosenrate ist mit 5,2 Prozent auf den höchsten Stand seit 1999 geklettert. Das sind denkbar schlechte Voraussetzungen für populäre Entscheidungen.
Als kurzfristige Aufgabe steht dem neuen Ministerpräsidenten das EU-Referendum bevor. Europaminister Dick Roche kündigte an, daß Cowen die Kampagne für eine Zustimmung zum Vertragswerk noch mal anfeuern wolle. Insbesondere bei den irischen Landwirten wird er es nicht leicht haben.
Sie werfen EU-Handelskommissar Peter Mandelson vor, bei den gegenwärtigen WTO-Gesprächen über eine Liberalisierung des Agrarhandels den Ausverkauf ihrer Interessen zu betreiben, und drohen an, bei dem Referendum mit einem „No“ zu stimmen. Doch Aherns Abgang könnte dem „Yes“-Lager nun sogar noch Auftrieb bescheren. „Da der Vertrag unverständlich ist, sind wir auf Anleitung angewiesen durch die, denen wir vertrauen. Wir vertrauen Ahern nicht. Wenn er für Ja stimmt, stimmen wir selbstverständlich für Nein“, brachte ein Leser der Irish Times die frustrierte Stimmung vieler Iren über dessen mangelnde Glaubwürdigkeit vor dem Tribunal spitz auf den Punkt.
Die Gefahr für die Vertragsbefürworter, daß das Referendum somit zu einer Abstimmung über Aherns Person geraten könnte, ist mit dessen Rücktritt aus dem Weg geräumt. Ein irisches „Yes“ könnte ihm, der sein Land immer strikt auf EU-freundlichen Kurs gefahren hat, sogar noch eine zweite Karriere in Brüssel bescheren.