© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 38/19 / 13. September 2019
Keine Stimme für die ungeborenen Kinder
Nordirland: Durch die Hintertür versucht das britische Parlament in Nordirland ein liberales Abtreibungsrecht durchzusetzen
Daniel Körtel
Nach dem überwältigenden Votum der Iren in dem Referendum vom Mai 2018 zugunsten einer Abschaffung des Abtreibungsverbotes machten Pro Choice-Aktivisten klar, daß sie diesen Sieg nur als eine Zwischenstation ansahen auf dem Weg zu einer Freigabe der Abtreibung auf der gesamten Insel. Also auch in der britischen Provinz Nordirland, wo abgetrennt von den liberalen Regelungen im übrigen Königreich, ein rigides Abtreibungsverbot besteht, das bis in die viktorianische Ära zurückreicht.
Demnach kann eine Schwangere nur dann eine Abtreibung ihres ungeborenen Kindes durchführen, wenn sie durch die Schwangerschaft ihr Leben riskiert oder ihr dadurch langfristige oder dauerhafte geistige und körperliche Schäden drohen. Nicht gestattet ist Abtreibung im Falle von Vergewaltigung, Inzest oder fetalen Mißbildungen.
Vermutlich schneller als erwartet stehen die Abtreibungsbefürworter auch in Nordirland kurz vor ihrem Sieg. Kurioserweise ist es die politische Sackgasse, in die sich die nordirischen Parteien seit der Regionalwahl vom März 2017 verrannt haben. Auch mehr als zwei Jahre später konnte die gegenseitige Blockade der beiden größten Parteien, der irisch-nationalistischen Sinn Fein und der pro-britischen DUP (Democratic Unionist Party) nicht behoben werden, um so eine gemäß den Regelungen des Karfreitagsabkommens von 1998 entsprechende Allparteienregierung einzusetzen.
Im Juli passierte ein Gesetz das Parlament in London, das der britischen Regierung die Pflicht auferlegt, Regelungen für Nordirland zu treffen hinsichtlich der Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe und einer Liberalisierung der Abtreibung. Dieses Gesetz tritt in Kraft, wenn das nordirische Parlament und die Allparteienregierung nicht bis zum 21. Oktober wiederhergestellt sind.
Damit wäre die Klärung einer komplexen Frage auf Leben und Tod außerhalb der Souveränität der nordirischen Regionalversammlung gestellt. Die zuletzt amtierende Ministerpräsidentin Nordirlands, Arlene Foster, nannte das Gesetz „heimtückisch“ und bekräftigte die ablehnende Haltung ihrer sozialkonservativen DUP. Sie fürchtet zusammen mit Lebensrechtlern, daß sogar eine Fristenregelung bis zur 28. Schwangerschaftswoche eingeführt werden könnte. Dies lehnt die linksgerichtete Sinn Fein jedoch ab.
Obgleich Umfragen nahelegen, daß eine Mehrheit der Nordiren eine Lockerung des strengen Abtreibungsgesetzes befürwortet, versammelten sich am vergangenen Freitagabend Tausende Abtreibungsgegner vor dem nordirischen Parlamentssitz. Bewußt in dunkler Kleidung erhoben sie die leuchtenden Taschenlampen ihrer Smartphones zum Protest: „Unsere Stille spricht Bände. Wir werden nicht gefragt, und die ungeborenen Kinder haben keine Stimme.“